Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 28.7.2001
Kultur



Ein Kampf um Troia

Im Tübinger Gelehrtenstreit hat Korfmann bessere Karten

Auch langjährige Beobachter der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen können sich nicht daran erinnern, dass je ein Professor derart brüsk einen Kollegen angegriffen hätte. Dass der von dem Tübinger Althistoriker Frank Kolb attackierte Tübinger Troia-Forscher Manfred Korfmann zudem einer der profiliertesten und populärsten Wissenschaftler der Universität ist, hat dem Fall überregionales Aufsehen beschert.

Ausgangspunkt waren Kolbs Zitate in der "Berliner Morgenpost'', die von anderen Blättern und Agenturen aufgegriffen worden sind. "Viele Archäologen wissen, dass das Troia-Bild Korfmanns eine Fiktion ist'', so Kolb markig. Wenn Manfred Korfmann Troia als bedeutenden Handelsknotenpunkt zwischen Ägäis und Schwarzem Meer präsentiere, so sei dies "völlig absurd''. Kolb seinerseits hat einige Jahre vor dem Beginn der korfmannschen Ausgrabungen einige Texte über Troia veröffentlicht. Nun wirft er Korfmann "Irreführung der Öffentlichkeit'' vor, und es soll der Satz gefallen sein, der Tübinger Professor sei der "Däniken der Archäologie''.

Wer so etwas sagt, wird im Jahr der von Korfmann initiierten Stuttgarter Troia-Ausstellung, die 250000 Besucher zum riesigen Erfolg werden ließen, nicht ungehört bleiben. Gut möglich, dass sich mancher Professorenkollege von diesem strahlenden Ereignis in den Schatten gestellt fühlt. Als Korfmann persönlich von der türkischen Regierung die Grabungslizenz für Troia erhielt, waren ihm daheim in Tübingen auch kritische Stimmen entgegengehallt. "Der kann doch mit seinem Troia der Heuneburg nicht das Wasser reichen'', meinten Kollegen im Institut für Ur- und Frühgeschichte.

Inzwischen ist Korfmann einer der führenden Archäologen in Deutschland, das Thema "Troia - Mythos und Wirklichkeit'' fasziniert mehr Menschen als alle anderen Gegenstände in diesem Bereich. Das schafft Neid und Eifersucht - wohl nicht zuletzt, weil Korfmanns Grabungskampagnen seit 1988 Sponsorengelder binden, die sonst womöglich anderen Projekten zugeflossen wären. Dass Korfmann schließlich stets mahnt, alle seit Schliemanns Zeiten ausgegrabenen Funde von den Instituten in aller Welt der Türkei zurückzugeben, hat ihm nicht nur Zustimmung eingebracht. Manches aus Troia findet sich auch in Tübinger Schatzkammern.

Korfmann hat dem sagenumwobenen Troia zu neuer Popularität verholfen, obwohl er gerade nicht behauptet, Belege für Homers Troianischen Krieg gefunden zu haben. "Die Ilias' ist in gewisser Hinsicht als Quelle ihrer Zeit bestätigt'', erklärt Korfmann mitunter, "Homer oder seine Informanten haben um 720 vor unserer Zeitrechnung die Ruinen von Troia gesehen oder gute Informationen zu ihnen gehabt. Dafür gibt es mittlerweile sehr viele Hinweise wie zum Beispiel die ausgedehnte Unterstadt.'' Gerade jene Grundmauern gräbt das Team derzeit aus. Frank Kolb bezweifelt dennoch, dass es diese Mauern überhaupt gibt.

Bei allem öffentlichen Aufsehen - kann man dem Archäologen Korfmann vorwerfen, wie Kolb es tut, dass er unwissenschaftlich arbeitet? Wenn Frank Kolb Recht hätte, würde sein Schlag sehr viele treffen, nicht nur den Kollegen der Universität. In den 13 von Korfmann geleiteten Grabungskampagnen forschen bis zu achtzig Experten aus einem Dutzend Nationen drei Monate im Jahr am Ort in Troia. Das ist eine internationale Mannschaft und setzt sich keineswegs aus willfährigen Korfmannschülern zusammen. Korfmann stellt seine Funde und die daraus gefolgerten Schlüsse Jahr für Jahr in den umfangreichen Bänden der "Studia troica'' vor. Auf wissenschaftlichen Kongressen werden seine Troia-Forschungen beraten. Jedes Jahr wird das Unternehmen Troia auch von den Gutachtern der Deutschen Forschungsgemeinschaft diskutiert, die die Grabungen finanziell unterstützt. Und viele Stuttgarter hatten in einer umfangreichen Vortragsreihe Gelegenheit, viele bekannte Wissenschaftler über das Thema Troia referieren zu hören.

Keiner wird sich an Kritik erinnern, die Manfred Korfmanns Thesen grundsätzlich erschüttern wollte. Diese lassen sich so zusammenfassen, dass Troia dem anatolischen und nicht dem hellenistischen Kulturkreis zugehörte, dass Troia mit seiner ausgedehnten Unterstadt viel größer war als vermutet und deswegen einen bedeutenden Handelsplatz zwischen dem Mittelmeer und den reichen Städten am Schwarzen Meer darstellte.

Frank Kolb stellt dies grundsätzlich in Frage. Zu seiner Unterstützung kann er nur vage vorbringen, dass "viele Kollegen Korfmann nicht öffentlich kritisieren''. Das ist viel zu wenig, um jene harte Kritik im Ansatz zu rechtfertigen. Auch in den Tagen nach Kolbs Affront ("Rufmord unter Kollegen'', wie die FAZ es nannte) ist ihm, soweit bekannt, kein Kollege zur Seite gesprungen. Geradezu absurd ist der ebenfalls laut gewordene Vorwurf, Korfmann würde sich der türkischen Regierung "liebedienerisch'' anbiedern, um sich mit einem Museum am Rande der Ruinen ein Denkmal zu setzen. Nicht wenige der vielen hunderttausend Besucher Troias sind enttäuscht, dass sie vor Ort von den berühmten Funden nichts besichtigen können. Dem würde ein Museumsbau in Troia abhelfen. Das Gelände steht bereit. Manfred Korfmann hat den immer wieder verschleppten Baubeginn einerseits kritisiert, andererseits aber auch Verständnis dafür geäußert, dass der Türkei die Beseitigung der Erdbebenschäden von 1999 näher lag, als ein Museum zu errichten.

Vor Ort in der Türkei ist Manfred Korfmann nicht unumstritten. Kritisiert wird er von Zementwerken und Hotelbetreibern, die diese von Homer beschriebene Landschaft für ihre Zwecke nutzen und somit für immer zerstören wollen. Korfmann hat einen ausgedehnten Nationalpark durchgesetzt, ohne dessen Beschränkungen die Küste vor Troia wohl inzwischen genauso von Häusern entstellt wäre wie so viele andere Küstenstreifen der Türkei. Insofern hat nicht nur der Archäologe Manfred Korfmann viel erreicht. Fast überall wird ihm dafür gedankt. Heftige Kritik hallt ihm nur aus einer Ecke der Tübinger Uni entgegen. Korfmanns Kommentar zu Kolbs Kritik: "Einen neuen Krieg um Troia ist das nicht wert.''
Von Michael Petersen

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