StZ Stuttgart 15.09.1997



Die fünfziger Jahre als Attraktion am Tag des offenen Denkmals

Dynamische Nachkriegs-Architektur mit Verfallsdatum

,,Hier wäre es mir zu dunkel.'' - ,,Jetzt haben die einen so großen Grundriß, und dann ist die Küche so klein.'' Einige Besucher der Windstoßer-Villa an der Neuen Weinsteige Nummer 80 schienen erleichtert darüber, daß das Gebäude mit der schönen Hanglage deutliche Schwächen aufweist. Kein Grund, neidisch zu sein, wo doch die Fenster in der eigenen (Miet-)Wohnung größer, Küche und Wohnzimmer viel geräumiger sind. Die leerstehende Villa gehörte zu den Attraktionen einer von Stadtkonservator Wolfgang Mayer geführten Bustour zur Architektur der fünfziger Jahre, Themenschwerpunkt am Tag des offenen Denkmals in Stuttgart.

Seit einem Zeitungsbericht vor wenigen Wochen sei die Villa zu einem Wallfahrtsort geworden, sagt Mayer. Entsprechend groß war die Nachfrage nach den drei Busrundfahrten. Nicht für alle, die sich angemeldet hatten, reichte der Platz. Außer der von Max Bächer 1957 bis 1959 erbauten Windstoßer-Villa standen die Waldsiedlung Rohr, die Versuchssiedlung Rotweg und die Auferstehungskirche in Rot auf dem Programm. Schon nach dem Ausflug zur Neuen Weinsteige waren die Salvatorkirche in Giebel und das von Paul Stohrer 1960 erbaute Haus Nummer 64 am Herdweg gestrichen worden - zwei Stunden reichten nicht fürs geplante Pensum.

Auch die Aussicht vor der noch bis vor kurzem vom Sohn des Bauherren bewohnten Windstoßer-Villa erfüllte nicht alle Erwartungen der Besucher. Zu viele hochgeschossene Sträucher und Bäume zerstückeln das Panorama, zudem ist ,,die Nierentischarchitektur des Gartens'', den Hans Lutz konzipiert hat, von wilden Sträuchern überwuchert. Daß das Gebäude ,,im internationalen Stil'' damals aus den Gegebenheiten der Topographie und Aussicht heraus konzipiert wurde, wie Mayer erläuterte, läßt sich derzeit nur erahnen. Auf die neue Eigentümerin kommt ein gewaltiges Stück Arbeit zu, wenn sie den vom Architekten vor 40 Jahren avisierten Idealzustand wiederherstellen möchte.

Bächer hatte sogar auf die einzigartige Aussicht auf die Stadtmitte bei Nacht Rücksicht genommen. Ein wichtiger Akzent dabei sei früher die Konturenbeleuchtung des Tagblatt-Turms gewesen, sagte Mayer. Die Installationen dafür seien noch vorhanden, aber die TWS - jetzt NWS - weigere sich aus Kostengründen, die Leuchtröhren wieder in Betrieb zu nehmen. Nicht zu übersehen ist allerdings auch im sanierungsbedürftigen Zustand, daß die Villa Windstoßer mit ihren kühn über den Hang getriebenen Horizontalen und ihrer Mischung aus Naturelementen und Beton den Kanon gängiger Wiederaufbau-Architektur sprengt.

Außer den Denkmalen der neueren Geschichte standen gestern mittelalterliche und antike Schätze offen. So hatten das Lapidarium an der Mörikestraße und das Römische Lapidarium im Neuen Schloß geöffnet, ebenso die Alte Schloßkirche und die Königsgruft. Zumindest im Viertel rund um Altes und Neues Schloß erschien die Stadt als Museumslandschaft, in der sich Familien und Reisegruppen drängten.

Im Vorfeld hatte die Arbeitsgemeinschaft Stuttgarter Bürgervereine (ABS) beklagt, daß sich in Stuttgart am Tag des offenen Denkmals zuwenig tue. Nächstes Jahr sollten auch Gebäude wie das Mühlhausener Schloß oder die Villa Reitzenstein geöffnet werden. Wenn 1998 weitere Innenstadtmuseen zugänglich gemacht werden, sollte ferner über eine Parkhausöffnung nachgedacht werden. Schon gestern vormittag waren alle Gehwege in der City zugestellt. Ludwig Laibacher

Atrikelübersicht


© 1997 Stuttgarter Zeitung, Germany