UNESCO-Welterbe in Deutschland
Symbol des Welterbes


Quedlinburg

Quedlinburg fühlt sich mit Weltkulturerbe völlig überfordert

Von der Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste der Unesco hatte sich die 1000jährige Fachwerkstadt Quedlinburg viel versprochen: Medienpräsenz, Aufschwung des Tourismus und nicht zuletzt finanzielle Hilfe bei der Rettung bedrohter Baudenkmäler. Ein Jahr nach der imageträchtigen Ehrung, die das sachsen-anhaltinische Harzstädtchen über Nacht weltbekannt machte, zieht Oberbürgermeister Rudolf Röhricht eine nüchterne Bilanz. Die Stadt ist mit dem enormen Instandsetzungbedarf für das einmalige städtebauliche Ensemble mit seinen 1.200 Fachwerkhäusern völlig überfordert. Verstärkt sollen nun private Sponsoren gesucht werden.

Fördermittel von Bund und Land aus verschiedenen Programmen sind in beträchtlichem Umfang geflossen, räumt der Bürgermeister ein. Diese müßten jedoch von der Stadt gegenfinanziert werden. "Ob nun jeweils zu einem Drittel oder zu 20 Prozent - die benötigten Summen sprengen den Stadthaushalt", berichtet Röhricht. Das ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, daß zwischen 1991 und 1995 fast 100 Millionen Mark ausgereicht wurden. Allein 1995, nach der Anerkennung als Weltkulturerbe, gab es 32 Millionen Mark Fördermittel über das vorgesehene Maß hinaus. Röhricht, der den gesamten Sanierungsbedarf auf mindestens eine Milliarde Mark schätzt, möchte natürlich weiter Unterstützung haben. "Aber dann müßten die Fördermodalitäten völlig verändert werden."

Schon jetzt sitzt Quedlinburg mit seinen 25.000 Einwohnern auf einem Schuldenberg von mehr als 60 Millionen Mark. Der Haushalt für dieses Jahr weist bei einem Etat von 93 Millionen eine Deckungslücke von zehn Millionen Mark auf. Millionenbeträge werden für Zins und Tilgung sowie für die Gegenfinanzierung von Fördermitteln fällig. "Wir sind langsam am Ende", sagt Röhricht. Könne die Stadt die Fördermittel nicht mehr abrufen, sehe es angesichts fehlender Privatinvestoren ganz düster aus. Etwa 150 Fachwerkhäuser seien vom unmittelbaren Verfall bedroht, eine Rettung nicht in Sicht.

Allein mit öffentlichen Geldern und der Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, das weiß auch der Bürgermeister, ist die Rettung der einmaligen Altstadt wohl nicht zu bewerkstelligen. Verstärkt setzen Stadt und Land daher auf öffentlichkeitswirksame Aktionen, um privates Kapital zu mobilisieren. Viel verspricht sich Röhricht von einer Wanderausstellung über Quedlinburg, die in den kommenden Wochen auch in Bonn und Brüssel zu sehen sein soll. Inzwischen habe die Wüstenrot-Stiftung 1,5 Millionen D-Mark für die Sanierung eines Fachwerkhauses eingeplant, das später als Informationszentrum genutzt werden soll.

Lichtblicke sieht Röhricht beim Tourismus: "Schon einen Tag nach Aufnahme in die Weltkulturerbeliste wurde die Stadt förmlich überrannt." Etwa 500.000 Besucher strömten 1995 durch die mittelalterlichen Gassen. Allerdings fehlt es noch an der Infrastuktur, um sie länger zu halten. "Nach 17.00 Uhr ist hier schlagartig Ruhe, dann sind die Tagestouristen abgereist", klagt der Bürgermeister. Die 600 Betten in kleineren Hotels und Pensionen reichten bei weitem nicht aus. Zudem bräuchten Reiseveranstalter größere Häuser. Es besteht aber ein Hoffnungschimmer für die Stadt: Der Baubeginn für drei neue Hotels mit jeweils etwa 120 Betten steht nun unmittelbar bevor.

Text: 1995


[Quedlinburg als Weltkulturerbe]