346-1968 Griffigkeit Ersetzt 346-1966 Verkehrssicherheit bei Nässe Blatt 1 Merkblatt über Straßengriffigkeit und Verkehrssicherheit bei Nässe Aufgestellt: FG 2. Ausgabe 1968 Veröffentlicht: FG Einführung Das vorliegende Merkblatt ist von der Kommission "Griffigkeits- anforderungen" des Forschungsbeirats überarbeitet worden und ersetzt die Fassung vom 3. Oktober 1966. Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e.V. Prof. Dr.-Ing. E. h. Böhringer Vorwort Seit einer Reihe von Jahren werden Griffigkeitsuntersuchungen auf Stra- ßendecken in Deutschland vorgenommen. Diese Untersuchungen haben einer- seits wichtige Aufschlüsse zum Problem der Griffigkeit von Fahrbahndecken ergeben, andererseits aber auch Grenzen der Aussagemöglichkeiten deutlich gemacht. In diesem Merkblatt sollen Hinweise darüber gegeben werden, wie die Ergebnisse von Griffigkeitsmessungen für die Erhöhung der Verkehrssicher- heit ausgewertet und für die Praxis nutzbar gemacht werden können. 1. Begriffsbestimmungen 1.1 Griffigkeit Unter der Griffigkeit einer Fahrbahndecke ist der Einfluß zu ver- stehen, den ihre Oberfläche durch ihre stoffliche Beschaffenheit und insbesondere durch ihre geometrische Feingestalt auf die Größe der maximal vom Reifen auf die Straße abstützbaren Antriebs-, Brems- und Seitenkräfte ausübt (auch bezeichnet als Kraftschlußvermögen oder Gleitwiderstand der Straßenoberfläche). Während trockene Straßen außer bei grober Verschmutzung im allge- meinen stets eine hohe und nur wenig von der Geschwindigkeit abhängige Griffigkeit bieten, sind nasse Straßen in ihrem Griffig- keitsverhalten sehr unterschiedlich. Mit zunehmender Geschwindigkeit sinkt die Griffigkeit der Straßen bei Nässe mehr oder weniger stark ab. 1.2 Griffigkeitsmessungen Hierunter sind Reibungsmessungen (Kraftschlußmessungen) unter gewählten Versuchsbedingungen zu verstehen. Die Messungen werden auf angenäßter Fahrbahn vorgenommen. Für die Wahl der Versuchs- bedingungen (Reibungsart, Reifentyp, Radlast, Annässungsgrad der Straßenoberfläche, Meßgeschwindigkeiten u. a.) bestehen viele Mög- lichkeiten. Zahlreiche Meßgeräte unterschiedlicher Bauart wurden im In- und Ausland entwickelt. Vergleichsmessungen zwischen verschiedenen Meßverfahren haben gezeigt, daß die Zahlenwerte für die Griffigkeit sehr stark von den gewählten Versuchsbedingungen abhängen. Deshalb können auch Meßergebnisse aus dem Ausland nicht ohne weiteres zahlenmäßig den Werten für die bei uns angewendeten Meßbedingungen gleichgesetzt werden. 1.3 Gleitbeiwerte Die Ergebnisse von Griffigkeitsmessungen mit einem blockierten Rad werden Gleitbeiwerte genannt. Meist wird ein besonderes Schlepprad verwendet, das von einem Kraftfahrzeug als fünftes Rad mitgeführt wird und mit einer eigenen Bremse ausgerüstet ist. Dieses Meßprinzip des blockierten Schlepprades wird in Deutschland unter den folgenden Versuchsbedingungen angewendet: Profilierter Reifen Phoenix P3, Radlast 350 kp, Innendruck 1,5 atü, starke Annässung der Straßen- oberfläche vor dem Meßrad entsprechend einer rechnerischen Wasser- filmdicke von 1 mm. Vor Beginn der Meßfahrten wird die Straßen- oberfläche abgespült. Normalerweise wird bei den konstanten Geschwindigkeiten 40, 60 und 80 km/Std. gemessen. Ein Gleitbeiwert als Meßergebnis ist normalerweise der Mittelwert aus zehn Einzelwerten, hervorgegangen aus zehn über 250 m Straßen- länge verteilten Einzelbremsungen des Meßrades. Jede Einzelbrem- sung entspricht einem Gleitweg des blockierten Rades von rd. 20 m Länge. 2. Aussagekraft der Gleitbeiwerte 2.1 Bedeutung der Gleitbeiwerte Wegen der Vielzahl der Faktoren, die neben den Eigenschaften der Straßenoberfläche den Kraftschluß am Fahrzeug beeinflussen, wie Fahrgeschwindigkeit, Verhalten des Fahrers beim Lenken und Brem- sen, Eigenschaften des Fahrzeuges und insbesondere der Reifen, Tras- sierungselemente der Straße, Ebenheit der Fahrbahndecke, Annäs- sungs- und Verschmutzungsgrad der Oberfläche u.a. m. kann die absolute Größe der Gleitbeiwerte nicht ohne weiteres als Aussage über das mögliche Verhalten eines einzelnen Kraftfahrzeugs gewertet werden. Die in ihrer Höhe in erheblichem Maße von den Versuchs- bedingungen abhängigen Gleitbeiwerte geben zwar einen brauchbaren Anhalt, jedoch keine erschöpfende Aussage über das Kraftschlußver- halten der Oberfläche bei Nässe. 2.2 Variationsbreite und Häufigkeitsverteilung Die Gleitbeiwerte von über zwei Dritteln der Straßendecken liegen nach den obengenannten Versuchsbedingungen in einem verhältnis- mäßig engen Bereich: bei einer Geschwindigkeit 6O km/Std zwischen etwa 0,35 und 0,48, bei der Geschwindigkeit 80 km/Std zwischen etwa 0,28 und 0,41; extrem niedrige Werte nach unten bis etwa 0,20, ebenso wie extrem hohe nach oben bis zu etwa 0,60 kommen selten vor. 2.3 Meßunsicherheit Darüber hinaus ist die Meßunsicherheit die den Ergebnissen von Griffigkeitsmessungen anhaftet, zu berücksichtigen. Nach den bisheri- gen Versuchsergebnissen liegt die Meßunsicherheit in der Regel in der Größenordnung von +/- 0,02 bis +/- 0,03 (für eine statistische Sicherheit von 95 %). 2.4 Witterungseinflüsse Ferner ist zu berücksichtigen, daß alle Straßendecken ihre Oberflä- cheneigenschaften unter dem Einfluß der Witterung und der Jahres- zeit verändern. Diese Veränderungen wirken sich in Schwankungen der Gleitbeiwerte aus. Damit wird zwar die Aussagekraft der Meß- ergebnisse grundsätzllch nicht in Frage gestellt, aber der Vergleich einzelner Meßergebnisse zu verschiedenen Zeiten erschwert. 2.5 Verkehrseinwirknng Auch der Verkehr verändert die Oberflächeneigenschaften von Stra- ßendecken zeitlich und örtlich, besonders in den ersten Jahren nach der Verkehrsübergabe. 3. Unfallhäufigkeit und Griffigkeitsmessungen 3.1 Anteil der Unfälle bei Nässe Wenn der Anteil der Unfälle, die sich auf einer Fahrbahn bei Nässe ereignet haben (Zahl der Unfälle bei nasser einschl. feuchter Fahrbahn im Vergleich zur Gesamtzahl der Unfälle ohne Unfälle auf winter- glatter Fahrbahn), extrem hoch ist, dann besteht eine hohe Wahr- scheinlichkeit, daß die Verkehrssicherheit bei Nässe auf dem betref- fenden Streckenabschnitt durch geeignete Maßnahmen erhöht werden kann. Das Aufstellen von Schildern nach Bild 2 a Anlage zur StVO mit dem Zusatz "bei Nässe" wird zunächst empfohlen, gegebenenfalls auch die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Vor Einleitung solcher oder baulicher Maßnahmen zur Verbesserung der Griffigkeit der Fahrbahndecke ist zu prüfen, ob nicht der hohe Anteil der Unfälle bei Nässe auf andere Ursachen zurückzuführen ist. Zum Beispiel kann eine an sich geringe Anzahl von Unfällen rein zufällig einen hohen Anteil von Unfällen bei Nässe ergeben, oder es kann eine regional- bedingte hohe Niederschlagsmenge mitgewirkt haben. Aber auch Wasseransammlungen auf der Fahrbahnoberfläche können bei schnel- lem Verkehr zu Unfällen durch aquaplaning*) führen. Der Anteil der Unfälle bei Nässe schwankt im Straßennetz - zufalls- bedingt - in weiten Grenzen. Zum Beispiel war in dem regenarmen Jahr 1964 im allgemeinen ein Anteil der Unfalle bei Nässe von über etwa 50 % bereits als extrem hoch anzusehen; in dem regenreichen Jahr 1965 lag der Anteil der Unfalle bei Nässe allgemein höher, so daß der kritische Wert auf etwa 60 % anzusetzen war. 3.2 Richtwerte für Griffigkeit Auf Straßendecken mit übereinstimmenden Gleitbeiwerten kann das Unfallgeschehen bei Nässe durchaus unterschiedlich sein. Eine Grenze zwischen ausreichender und nicht ausreichender Griffigkeit läßt sich nicht genau angeben (s. Abschnitt 2). Werden Griffigkeitsmessungen mit dem blockierten Schlepprad nach Ziff. 1.3 durchgeführt, so können für die Beurteilung der Griffigkeit folgende Richtwerte zugrunde gelegt werden: a) Bei Straßen mit schnellem Verkehr 0,33 bei der Geschwindigkeit von 60 km/Std. oder 0,26 bei der Geschwindigkeit von 80 km/Std; *) Unter "aquaplaning" - wörtlich "Wassergleiten" - versteht man das Aufschwimmen des auf nasser Fahrbahn mit sehr hoher Geschwindigkeit rollenden Kraftfahrzeugreifens auf einem Wasserkeil infolge des Entstehens eines hydrodynamischen Druckes, der größer ist als die Flächenpressung in der Reifenaufstandsfläche.