ISHI
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Erschienen im Original, "Ishi, the man", by Gene Wensel, PBS Magazine Number 3 und 4 1994
Mit freundlicher Genehmigung von Gene Wensel.


Noch nicht allzulange her, hatte ich die große Freude, die von Dr. Saxton Pope im Mai 1920 gschriebene medizinische Studie über Ishi zu lesen. Nicht nur, daß "unser Mann", der großartige Arzt und Bogenschütze Dr. Pope, eine auserordentlich gute Arbeit, mit der Aufzeichnung über die medizinischen Befunde seines indianischen Freundes vollbracht hat, sondern auch, weil er durch seine Position und sein persönliches Interesse, die Möglichkeit dieser einzigartigen Gelegenheit nutzte, den letzten der Yahi-Indianer auf der Ebene vertrauensvoller Freundschaft kennenzulernen.

Saxton Pope verbrachte hunderte von Stunden damit, Ishi im medizinischen Sinne zu studieren und ebenso, ihn auf eine mehr persönlichere Art zu befragen. Er versuchte sein Bestes, um sich mit ihm über seine Verhaltensweisen, Gefühle, charakterlichen Merkmale, kulturellen Glauben, Aberglauben, usw., zu unterhalten.

Der größte Teil des Textes, wird eine genaue Wiedergabe der originalen Aufzeichnungen Saxton Popes sein und ich hoffe, daß der Leser damit eine bessere Einsicht in die Yahi Kultur und über die fesselnde Pesönlichkeit des Mannes Ishi erhält, dem wahrlich Letzten seines Stammes.

Der Beginn

Zum Zeitpunkt seiner Gefangennahme war Ishi völlig abgezehrt und sehr schwach. Wie schon in anderen Berichten erwähnt, fand die Gefangennahme am 29. August 1911 in der kleinen Minenstadt Oroville, Kalifornien, statt. Ishi selbst gab später an, daß er zu dieser Zeit keineswegs krank gewesen sei, sondern lediglich goße Angst davor hatte, daß dies nun sein Ende bedeuten würde. Er hatte weder Nahrung noch Werkzeuge. Weiße hatten ihm seinen Bogen und die Pfeile genommen: es gab kaum Wild und er hatte keine Mittel sich das Nötigste zu beschaffen.

In der Hoffnung etwas zu finden hatte er aus Angst vor der Eisenbahn und den Automobilen sein eigentliches und ihm vertrautes Gebiet verlassen. Nicht nur, daß schon die Eisenbahn und die Automobile furchterregend genug waren, nein, auch die Schienenwege und die Straßen die diese Fahrzeuge benutzten, wurden zu unverrückbaren Grenzen, die zu überwinden und zu überqueren waren, auf seiner dauernden Suche nach der Freiheit, die in seiner Erinnerung lebte.

Als der Stamm immer kleiner wurde, von ungefähr 40 Familien auf wenig mehr als einem Dutzend schrumpfte, dann nur noch aus 4 Familien bestand und letztlich im Jahre 1908 nur noch ein einsamer Indianer übrig war, verließ er die gewohnten Pfade seiner Heimat. Er hatte keine andere Wahl.

Bei seiner Gefangennahme wurden ihm Handschellen angelegt, er wurde mit Feuerwaffen bedroht und derart eingeschüchtert, daß er sich aus Furcht übergeben mußte. Bedenke nur die seelischen Qualen die er litt, wußte er doch nicht, ob oder wann ihn die Weißen töten würden.

Seine Befürchtungen gingen über die Angst vor den weißen Soldaten hinaus, es war eher so, als ob er von fremden Wesen eines anderen Planeten gewaltsam verschleppt würde.

Jedes Treffen mit den Weißen war ihm in schrecklicher Erinnerung geblieben: die vielen Indianerkämpfer welche die 49´er begleiteten, erklärten, als Konfrontationen mit feindlichen Indianern so gut wie garnicht mehr stattfanden, ihren Sieg über den roten Mann,. Die Yahi, die in einer rauheren Landschaft als ihre Brüder, die Yana lebten, hielten zwar für eine Weile den Siegern stand, aber dann blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich in das dicht-buschige Gebiet der steilen Hügel und Höhlen ihrer nunmehr verkleinerten Heimat, zurückzuziehen. In dieser Abgeschiedenheit gelang es ihnen, mehr als vierzig Jahre lang zu überleben.

Als die Zahl der Stammesmitglieder immer mehr schwand und letztlich gerade noch aus einer Familie bestand, wurde Ishi klar, daß er nicht länger ein Jäger war, sondern kaum mehr als ein Beutetier für die Weißen.

Mit der Zeit lernte Ishi, daß wenn er sich nur Nachts bewegte, er einige dieser Grenzen der Zivilisation überwinden konnte. Es war während einer dieser einsamen, nächtlichen Ausflüge als er, offensichtlich auf der Suche nach Nahrung, überwältigt wurde.

Einige Experten spekulierten, daß Ishi einfach sein "natürliches" Leben aufgegeben habe um sich in die Zivilisation einzugliedern. Ich persönlich denke, daß Ishi keinerlei Absicht hatte sich gefangennehmen zu lassen. Es blieb ihm garnichts anderes übrig in Anbetracht der Hunde, die ihn in der Dämmerung gestellt hatten. Er hatte einfach keine Möglichkeit zur Flucht.

Er wurde sofort in das lokale Kreisgefängnis gebracht und für mehrere Tage eingesperrt. Dort rührte er kein Essen an, trank nur sehr wenig Wasser und fürchtete sich offensichtlich vor der für ihn nicht begreifbaren Neugier der weißen Menschen. Irgendwann, muß er dann erkannt haben, daß diese keine Absicht hegten, ihn zu töten.

Das erste Hinderniss, daß seine "Bezwinger" zu überwinden hatten, war die simple Tatsache, daß sie sich nicht mit ihm verständigen konnten.

Niemand sprach seine Sprache und auch heimische Experten standen vor Rätseln, solange bis man von außerhalb anerkannte Autoritäten herbeirief, die den "wilden Mann", (unter dieser Bezeichnung war er zwischenzeitlich bekannt geworden), studierten.

Ishi´s richtiger Name wurde nie herausgefunden. Es war ein Teil der Yahi Kultur, Personen nur mit einem Pseudonym anzureden. Der richtige Name war eine Quelle der Kraft und hatte ebenso magische Wirkung. Er war ein sehr privater Teil der Seele eines Jeden. Dr. Kroeber machte den Vorschlag, ihn Ishi zu nennen, da dies in der Yahi-Sprache, Mann oder Person bedeutet.

Da zu dieser Zeit alle Indianer unter der Vormundschaft der Regierung standen, war es abzusehen, daß das Bureau of Indian Affairs in Washington D.C, ihn einfach in eine Reservation überstellen würde. Dr. Kroeber forderte und bestand darauf, daß Ishi in die wachsame Obhut der Abteilung für Menschenkunde der Universität von Kalifornien, übergeben würde. Dies war eine einzigartige Möglichkeit, einen unzivilisierten Menschen so zu studieren, wie es noch nie zuvor geschehen war.

Somit wurde Ishi von Dr. Waterman gerettet, der ihn nach San Franzisko in die Universität und das Museum für Menschenkunde brachte. Hier wurde er freundlich aufgenommen und er wurde davon überzeugt, ein Teil des komplexen Gefüges der Zivilisation zu sein. Er bekam regelmäßige Mahlzeiten, Bekleidung, eine Unterkunft und eine Tätigkeit. Stück für Stück begriff Ishi die wertvollen Lehren des modernen Lebens.

Ishi war der allerletzte Indianer in Nordamerika, der sein ganzes Leben, (bis zu seiner Gefangennahme), nach der ihm gewohnten Weise seiner Steinzeitalter-Kultur, ohne Anpassung, gelebt hatte. Alle seine Werkzeuge, sein Lager, Kleidung, Nahrung, Religion, seine Werte, Hygiene, Moral, Aberglaube, seine Argumentation und sein Rechtsempfinden: Alles was er tat und ebenso seine Weise zu leben, ermöglichte eine unschätzbare Verbindung zur Vergangenheit. Nicht nur, daß er ein mutiger und kluger Mann war, ebenso muß unsere Gesellschaft ihm sehr dankbar sein, für die vielen Geschenke, die er uns hinterlassen hat; nicht nur für Wissen und Material, sondern noch viel mehr, für die besondere Erfurcht und Dankbarkeit gegenüber der Natur, die er uns zu leben gelehrt hat und die durch jede Ader unseres Sportes fließt, hinunter bis zu den eigentlichen Wurzeln seiner Existenz.

Ishi´s Eigentümlichkeiten (Charakteristik)

Dr. Saxton Pope berichtet: "Ungefähr zu dieser Zeit übernahm ich einen Lehrauftrag für die Chirurgie in der medizinischen Fakultät der Universität und bekam Kontakt mit dem Indianer."

"Schon von der ersten Woche unserer Bekanntschaft an, entwickelten sich tiefe freundschaftliche Bande zwischen uns. Von dieser Zeit an, war ich sein persönlicher Arzt, sein Vertrauter und sein Kamerad beim Bogenschießen. Er fragte mich oft, ob ich nicht zum Teil indianischer Abstammung wäre. Geradezu naiv bejahte ich diese Frage, obwohl es keinesfalls der Tatsache entsprach."

Da das Museum nicht sehr weit vom Hospital entfernt war, und höchstwahrscheinlich wegen seiner Freundschaft zu Dr. Pope, besuchte Ishi sehr oft die Chirurgische Abteilung. Dort sang er Lieder und half den Schwestern die Instrumente zu reinigen. Noch mehr als seine sichtbare Faszination für die Medizin, machte sein freundliches Wesen ihn zu einem überall im Hospital gern gesehenen Besucher. Ich bin mir sicher, daß er in seiner eigenen Weise der Überzeugung war, den Kranken bei ihrer Heilung zu helfen.

Pope gibt weiter an:"Er besuchte die Kranken und seine Freudlichkeit und Sympathie für sie, sagten mehr als alle Worte. Seine Hände vor sich gefaltet, ging er von Bett zu Bett, wie der Arzt auf Visite, schaute sich jeden Patienten, mit stiller Besorgnis oder mit einem liebenswürdigen Lächeln an, welches freundlich angenommen und verstanden wurde."

 

Ishi´s persönliche Angewohnheiten

Schlafen:

1915 gab man Ishi ein kleines Haus auf einem Hügel hinter dem Museum, in dem er leben konnte. "Man mußte ihm beibringen, daß er die Fenster über Nacht geöffnet ließ. Als Bett hatte er eine mit Leinen bespannte Feldpritsche. Er bevorzugte gegenüber uns gewohntem Bettzeug, unter Decken zu schlafen. Man gab ihm mehrere Flannel-Schlafanzüge, aber er schlief lieber nackt und zog sich nur im Dunkeln aus."
Ich wunderte mich darüber, wie einfach er so simple Luxusdinge, wie z.B. das Kopfkissen, annahm.

Bekleidung:

Am Tage trug er meistens ein besch-farbenes Hemd und ebensolche Hosen, Baumwollsocken und Armeestiefel. Zuerst gab man ihm Mokassins, aber er weigerte sich diese anzuziehen. Er wollt sich unbedingt so geben wie all die anderen Leute. Gewöhnlich trug er ein buntes Halstuch, und einen Hut, wenn er in die Stadt ging. Bei kalter Witterung, trug er wollene Unterwäsche. Er bekam auch einige alte Anzüge aus Wolltuch, aber er bevorzugte Baumwollstoffe. In ausgesprochen schicklicher Weise benutzte er Taschentücher und da er des öfteren verschnupft war, nahm er diese häufig in Anspruch.

Sittsamkeit:

Ishi hatte ein ausgesprochenes Schamgefühl. Obwohl er in der Wildnis fast nackt gelebt hatte, war sein erstes Verlangen nach seiner Gefangennahme, nach Bekleidung (das er höchstwahrscheinlich durch Gesten zu verstehen gab). "Er war besonders darauf bedacht seine Genitalien bedeckt zu halten und wenn wir schwimmen gingen, trug er immer einen Lendenschurz, obwohl alle anderen nackt badeten.

Reinlichkeit:

Ishi badete fast jeden Tag und vor dem Essen wusch er sich immer die Hände. Er war offensichtlich sehr ordentlich und auf Sauberkeit bedacht in all seinen persönlichen Belangen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube das Toilettenpapier ein äußerst willkommener Luxus für ihn war.
"Wenn wir draußen beim campen waren, war er der einzige der frühmorgens aufstand um in den kalten, klaren Bergbächen zu baden.
Ishi war ein ausgezeichneter Schwimmer. Er hatte eine zur Seite gedrehte Art zu schwimmen und manchmal schwamm er mit einer Art Brustschwimm-Stil. Niemals kraulte er oder sprang kopfüber ins Wasser. Er konnte für lange Zeit außerordentlich gut unter Wasser schwimmen. Oft zog er meinen kleinen Sohn beim schwimmen an seinen langen Haaren hinter sich her.
Solange er in der Zivilisation war, nahm er niemals ein Schwitzbad, aber er sprach sehr häufig davon. Ich sah ihn niemals seine Zähne mit einer Bürste reinigen. Er verwendete nur seine Finger dazu und seine Zähne sahen immer sehr sauber aus. Nach jeder Mahlzeit spühlte er sich den Mund mit Wasser aus.
Sein Bartwuchs war sehr spärlich. Er rupfte sich von Zeit zu Zeit die Barthaare aus. Dazu benutze er die Klinge eines stumpfen Messers und seinen Daumen. In seinem Leben in der Wildnis hatte er dazu eine einfache Art von Pinzette benutzt, die aus einem gespaltenen Stöckchen hergestellt wurde. Für diese Tätigkeit benutzte er nie einen Spiegel.

Wie Pope berichtet, kämmte und bürstete er sein Haar jeden Tag und wusch es regelmäßig. In der Wildnis hatte er Fett in sein Haar gerieben. Lorbeerblätter und -nüsse wurden erhitzt und eingekocht bis eine zähflüssige Masse entstand. Damit rieb er sich nach einem Schwitzbad am ganzen Körper ein. "Eine solcherart gesalbte Person verfiel so dann in wohligen Schlaft." Die gleiche Substanz wurde auch in das Schuhwerk eingerieben um dieses wasserdicht zu machen.
Er liebt den Geruch von süßlicher Seife, und hatte immer ein oder zwei Stück davon zwischen seinen Kleidern liegen. Desgleichen noch etwas Talkum-Puder, das er "Ladys powder" nannte. Pope sah niemals daß er diese Seife oder das Puder verwendete und vermutete das Ishi diese Dinge als besondere Geschenke betrachtete.
Seine persönlichen Gegenstände waren immer ordentlich aufgeräumt. Alles war sorgfältig zusammengelegt und verwahrt. Wenn er Pfeile machte oder Obsidianspitzen, legte er immer Zeitungen auf den Boden, um alle Holzschnitzel und Steinsplitter aufzufangen. Ordnung und Sauberkeit schienen ein Teil seiner eigenen Erziehung zu sein."

Nahrung:

Ishi war von mittelgroßer Statur. 5ft, 6" groß, Sein Körpergewicht veränderte sich während der vier Jahre, in denen er in der Obhut von Dr. Pope war. Zuerst ließ er sich ziemlich gehen und schwelgte in dem unbegrenzten Nahrungsangebot, welches ihm nun zur Verfügung stand. Er wurde ziemlich fett. Nach einer gewissen Phase jedoch, beschränkte er sich selbst in seinen Essgewohnheiten und sein Gewicht reduzierte sich wieder auf einen seiner Körpergröße entsprechend normalen Wert.
Ishi trank sehr viel Wasser. Da er nicht gewohnt war Salz zu essen, entzogen ihm die stark gewürzten Speisen viel Flüssigkeit, die er natürlich ausgleichen mußte. Er liebte Süssigkeiten. Milch trank er niemals, daß sei Babynahrung, sagte er. Von Butter hielt er garnichts. Er sagte sie würde seine Stimme ruinieren. Singen war sein liebster Zeitvertreib.
"Die Verwendung von Streichhölzer war für ihn eine große Freude", so Pope. Das ist verständlich, wenn man bedenkt wie aufwendig es ist mit einem Holzbohrer Feuer zu machen, oder eine Glut über lange Zeit zu bewahren, so wie er es in der Wildnis hatte tun müssen.
Vor seiner Gefangennahme bestand seine Ernährung hauptsächlich aus Fish, Wild, Eichelmehl, Beeren und verschiedenen Arten von Wurzeln, besonders die Knolle, Zwiebel der Brodiaea. Er hatte wenig übrig für Alkohol. Manchmal trank er ein Bier "als Medizin", welches er mit Zucker und Wasser versetzte. Gelegentlich rauchte er eine Zigarette. Tabak, als wildwachsende Pflanz war sie ihm nichts neues, aber oft rauchte er wochenlang überhaupt nicht. Er war überaupt nicht einverstanden damit, daß junge Menschen rauchten. Er kaute Tabak, wenn er dazu eingeladen wurden.

Verhalten:

Obwohl ungewohnt für ihn, lernte er doch sehr schnell den Umgang mit Messer, Gabel und Löffel. Seine Tischmanieren waren vom besten. Pope schrieb,: "Er aß oft in meinem Haus. Dabei beobachtete er immer die anderen und tat es ihnen nach. Meiner Frau gegenüber, oder jeder anderen Frau im Haus, verhielt er sich mit einer Art unauffälligem Desinteresse. Wenn meine Frau ihn ansprach antwortete er höfflich und kurz, aber sonst zog er es vor ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken."

Sparsamkeit:

Ishi bekam im Museum ein Anstellung als Hausmeister. Pope erzählt, daß er sehr schnell lernte was sein wöchentlicher Lohn wert war. Er war sehr sparsam und sparte für ein Pferd und einen Wagen. Für ihn war das der größte Wunsch nach weltlichen Dingen den er sich vorstellen konnte.

Ishis Einstellung zur Medizin:

Auf einem seiner Besuche im Hospital, schaute Ishi zu, wie Dr. Pope einen chirurgischen Eingriff vornahm und wunderte sich ohne Zweifel über den Sinn, den diese Arbeit haben sollte. Verschiedene Male nahm Pope ihn mit in den Operationssaal, damit er sich die Operationen aus nächster Nähe betrachten konnte. Er war nicht nur ein faszinierter Beobachter, sondern zeigte besonders großes Interesse für den Vorgang des narkotisierens.
Dr. Pope schreibt:"Er sah einmal, wie ich eine krankhafte Niere entnahm. Tief verwundert betrachtete er den schlaftenden Mann. Noch viele Tage danach fragte er mich immer wieder, ob dieser Mann denn noch am Leben sei und war höchst erstaunt darüber, als ich ihm sagte: ja, er lebt noch."
Einmal sah er wie Pope einem Patienten die Mandeln entnahm. Er fragte ihn, warum das notwendig ist? Er sagte, bei seinen Leuten würden die Mandeln geheilt, indem man Honig auf den Nacken schmierte und mit einer Röhre Asche durch den Hals des Kranken blies, eine Operation wäre dafür nicht notwendig.

Kräuter:

Ishi´s Wissen über medizinische Kräuter war recht groß, aber er hatte nicht sehr viel Vertrauen für diese Art von Dingen. Es schien so, als ob nur alte Frauen seines Stammes Kräuter verwendet hatten.
Ishi hatte ein kleines Loch in der Nasenscheidewand. Wann immer er eine Erkältung hatte, steckte er durch dieses Loch einen kleinen Lorbeer- oder Wacholderast.

Hygiene:

Während der Jagd, erzählt Pope, hat Ishi ihn einigemale davon abgehalten aus einem Bach zu trinken, der vielleicht von Tieren stromaufwärts verunreinigt sein könnte.
Als Ishi noch direkt im Museum lebte, zeigte er deutliche Zweifel gegenüber den dort ausgestellten Knochen und Skeletten von Toten, den Mumien und den Grabgegenständen. Er verschloß nachts immer seine Schlafzimmertür um böse Geister fernzuhalten. Keine schlechte Idee, auch in den vergangenen Zeiten im Süden Kaliforniens!"

 

Sonnenuntergang für den letzten seines Stammes

In der letzten Ausgabe unseres Magazins, schrieb ich über Saxton Popes Interesse, Ishi, den letzten der Yahi Indianer zu beobachten und zu studieren, und wie er im August 1911 bei Oroville, Kalifornien, gefangen genommen wurde.

Dr. Saxton Pope, einer der Namensgeber des Pope&Young Clubs, wurde glücklicherweise nicht nur Ishis Hausarzt, sondern auch sein Berater, Vertrauter, Kamerad und Freund zugleich. Im Verlauf der folgenden viereinhalb Jahre machte Pope viele Aufzeichnungen von seinen Beobachtungen über die Veränderungen von Ishis Verhalten und Angewohnheiten und wie der Indianer sich langsam an eine vollkommen andere Kultur gewöhnte.

So einzigartig dieser Umstand für Pope als Lehrer war, kann ich mir doch nicht helfen zu denken, daß Pope selbst zum Schüler wurde, besonders in der Zeit die er mit Ishi in der geliebten freien Natur verbrachte.

Stelle Dir vor, wenn du kannst, wie es für einen einzelnen Überlebenden wie Ishi war, hoffnungslos in eine Umgebung gestoßen zu werden die er nicht verstehen und an die er nicht glauben konnte. Wie man ihn die ersten Tage behandelt hatte und dazu noch der Umstand, das er mit niemandem reden konnte, daß mußte wahrlich schrecklich gewesen sein.

Zum Glück erkannten Saxton Pope und einige andere weitsichtige Personen diesen Umstand und nahmen sich Ishi´s an und der einzigartigen Möglichkeit, ihn kennen zu lernen. Ich bin sicher, daß es für die meisten seiner Beobachter genauso eine Selbsterfahrung, wie auch lehrreich war, ihn zu studieren.

Im Mai 1910 vervollständigte Dr. Pope seine Studie über Ishi. Sie wurde von der Universtitätsdruckerei, Berkley in Kalifornien, gedruckt, aber niemals veröffentlicht. Insgesamt 32 Exemplare der originalen Ausgabe wurden vor Kurzem im Archiv des Museums entdeckt. Zusätzlich zu Ishis gesamten medizinischen Befunden, beinhaltete der Bericht Fotos seiner Totenmaske, Abdrücke seiner Füße, den Autopsiebefund, die Ergebnisse, hunderter medizinischer Tests, gesundheitsmedizinischer Befunde und Antworten auf Fragen über seine Kultur und Lebensweise. Viele der nun folgenden Fakten und Darstellungen sind diesem Bericht entnommen. Ich habe versucht so oft wie möglich die persönlichen Darstellungen Dr. Pope´s zu verwenden um dem Leser ein besseres Verständnis ihrer Beziehung zu ermöglichen.

Gemütsamkeit und Gesinnung

Dr. Pope berichtet," Der Yahi war immer ruhig und ausgeglichen. Niemals habe ich ihn verärgert erlebt. Äußerst selten ließ er erkennen, daß ihm etwas nicht gefiel. - Seine persönliche Habe war ihm sehr wichtig und er gab immer gut acht darauf. Pope schrieb, daß Ishi niemals daran denken würde das Eigentum eines anderen auch nur zu berühren, nicht einmal so etwas unbedeutendes wie einen Bleistift."
Er war sehr großzügig, oft machte er Geschenke. Bogen, Pfeilspitzen und andere Handarbeiten.
Das Temperament Ishis beschrieb Dr. Pope als:" philosophisch, ergründend, zurückhaltend, heiter und voll praktischer Lebensweisheit.
Sein Begriff der Unsterblichkeit entsprang dem Glauben seines Stammes, aber er schien auch die Ausführung des christlichen Glaubens darüber zu begreifen und er stellte mit viele Fragen über das Leben nach dem Tod."

 

Gebrauch von Werkzeugen

Er war sehr geschickt im Umgang mit einfachen Werkzeugen, wie etwa Messer, Handsäge, Feile oder Beil. Schnell lernte er den Gebrauch von Schraubstock und Schraubzwinge um zu bearbeitende Gegenstände festzuklemmen. Zuvor hatte er für solche Vorgänge seinen großen Zeh benutzt. Wollte er etwas messen, verwendete er dazu immer Vergleiche zu bestimmten Körpermaßen, z.B. eine Handspanne oder eine Armeslänge. Distanzen zählte er nie in Schritten und er hatte kein Maß für Entfernungen. Wenn er auf Reisen ging, wurden diese in Tagen und in "Sleeps" (wie oft man schlafen muß) gerechnet.

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Gebrauch der englischen Sprache

Ishi liebte es zu scherzen und Geschichten zu erzählen. Kleine Jungen hatten es ihm besonders angetan und viele Worte seines englischen Sprachgebrauchs lernte er durch sie. In seiner Freizeit war er ein richtiger Anziehungspunkt für Kinder und Jugendliche. Letztendlich lernte und lehrte er einen vielfältigen Ideen- und Meinungsaustausch durch den Umgang mit ihnen.
Ishis englischer Wortschatz im Jahre 1915 bestand aus mehreren hundert Worten und Ausdrücken. Er sagte niemals "Auf Wiedersehen", "Hallo" oder "ich danke Dir". Sagte jemand "Auf Wiedersehen", war seine Antwort darauf die einfache Frage "Gehst Du ?" Gefälligkeiten erwiderte er mit einem Lächeln. Für ein Geschenk, welches ihm gefiel, bedankte er sich mit einem simplen "Gut !".
Ishi lernte seinen Namen zu schreiben. Man unterließ die Bemühungen ihm das Lesen beizubringen. Zahlen konnte er in ausreichender Weise unterscheiden und er konnte ganz gut die Zeit ablesen. Eines seiner stolzesten Besitztümer war eine billige Taschenuhr, die ihm jemand gegeben hatte. Gewissenhaft zog er sie jeden Morgen auf.

Eine Beurteilung seiner Persönlichkeit

Pope schrieb:" Einmal nahm ich Ishi mit zu Buffalo Bill´s Wild West Show. Zirkus, Reitveranstaltungen, Clowns und ähnliche Vorstellungen erfreuten ihn immer ganz besonders. Während der Wild West Show, beobachtete er, wie sich einige Plains-Indianer für ihren Auftritt ankleideten.

Ein sehr würdevoller Krieger, zurecht-gemacht mit Kriegsbemalung und Federschmuck, kam auf uns zu. Die beiden Indianer schauten sich mehrere Minuten lang an, ohne ein Wort zu sagen. Mit perfektem Englisch sagte der Sioux Indianer dann zu mir: "Von welchem Stamm ist er?" Ich antwortete:" Vom Stamm der Yana aus dem Norden Kaliforniens." Der Sioux griff dann vorsichtig nach einer Strähne von Ishis Haar und rieb diese zwischen seinen Fingern. Er schaute in Ishis Gesicht und sagte:" Dies ist ein sehr hochstehender Indianer."

"Als wir gingen, fragte ich Ishi was er von dem Sioux halten würde? Ishi sagte: "Him´s big cheap" (Er sein viel billig). Er verwechselte das Wort für Häuptling "chief", mit dem Wort "cheap", was billig, ohne großen Wert bedeutet. Was er eigentlich meinte war, "er ist ein großer Häuptling". Aber denke an den Trubel und die Hektik einer Großstadt wie San Francisco, die für ihn, einen Indianer, nicht weniger faszinierend und beeindruckend war wie das Spektakel von Buffalo Bill´s Wild West Show, dann ist diese leichte Irritation im Umgang mit unserer Sprache sehr verständlich."

 

Aberglaube

Wie viele Indianer zu dieser Zeit, hatte auch Ishi nicht wenige abergläubische Vorstellungen. Die wesentlichsten sind hier aufgezählt:

Hunde: Spielen mit Hunden und besonders sich von ihnen lecken zu lassen, war ungesund. Er versicherte Dr. Pope, daß kleine Kinder, Babys, denen man erlaubte mit Hunden zu spielen, dadurch gelähmt würden.

Klapperschlangen: Einmal, auf einem Camping-Ausflug, töteten wir eine Klapperschlange und bereiteten aus ihrem Fleisch ein Mahlzeit. Ishi lehnte es nicht nur ab, von dem Mahl zu essen, sondern er weigerte sich auch aus dem Geschirr zu essen, in dem wir die Schlange gekocht hatten. Er dachte wir würden sterben. Das wir am Leben blieben, konnte er sich nur dadurch erklären, daß ich ein "Medizin"-Mann war und irgendeinen Zauber benutzt hatte.

Frauen: eine Kritik, die er häufig anführte war die uneingeschränkte Freiheit die wir unseren Frauen ließen wenn sie ihre Tage hatten. Er sagte, sie wären dann der Grund für vieles Unglück und für Krankheiten. Bei seinem Stamm würden Frauen während der Menstruation oft in Schwitzhütten eingesperrt.
Abgesehen davon, daß sie Teil der geliebten Familie waren, schienen alte Frauen für ihn von keinem allzu großen Wert, etwas geradezu unnötiges zu sein.
Berührte eine Frau jemals seinen Bogen, so brachte das eine ganze Wagenladung voll Unglück. Er wendete den Schaden eines solchen Vorkommnisses dadurch ab, daß er den Bogen sofort darauf mit Sand abwusch.
Es war für mich immer besonders interessant, daß es in Ishis Stamm zwei vollkommen verschiedene Sprachen für Frauen und Männer gab. Obwohl ich annehme, daß sie sehr wohl verstanden was jeweils gesprochen wurde, verwendeten sie jedoch, wenn Frauen und Männern, oder Männer in der Anwesenheit von Frauen, miteinander sprachen einen besonderen Dialekt, der jedoch unter Männern nie gesprochen wurde.

Der Mond: Ishi war der Überzeugung, daß es schädlich sei so zu schlafen, daß der Mondschein auf das Gesicht fiel. Er bedeckte immer seinen Kopf wenn er im Freien schlief.

Magie, Zauber: " Zauberei war die wahre Medizin. Die bevorzugte Weise war entweder, Rauch und Asche in bestimmte Richtungen zu blasen, oder "Taschenspielertricks" mit glühender Holzkohle, durch oder zwischen dem Medizinmann und dem Patienten, zu vollführen. Auch saugten sie kleine Obsidiansplitter oder Kaktusdornen vom Körper der Patienten, in dem Glauben daß dies die auswachsenden Faktoren der Krankheit seien."

Pope fährt fort:" Die Tatsache daß ich verschiedene Taschenspielertricks vorführen konnte, wie etwa Münzen verschwinden zu lassen u.ä., überzeugte Ishi mehr als alles, daß ich ein richtiger Medizinmann war." Unabhängig von Dr. Popes medizinischen Wissens, war daß, in Bezug auf die Freundschaft, ein großer Vorteil für ihn.

Alles nur erdenkliche wurde unternommen um Ishi bei guter Gesundheit zu halten. Dr. Pope ermunterte ihn sich so oft wie möglich in der freien Natur aufzuhalten und sich von ansteckenden Krankheiten fernzuhalten. Er bekam alle Freiheiten und eine angemessene Ernährung. Fragte man ihn, ob er jemals in die Wildnis zurückkehren mochte, so antwortete er daß er dies nicht wolle, da " alle tot waren, nur böse Geister seine alte Umgebung bevölkerten und daß es dort nicht genügend Nahrung gebe."

1914 war Ishi in seinen besten Jahren. Auf einer Reise in diesem Jahr mit Saxton, war er unzweifelhaft bei bester Gesundheit. Pope bemerkte, daß seine "Statur beeindruckend war". Es ist Kraft und Schönheit in all seinen Gliedmaßen. Für ein Jahr lang war Ishi das vollkommene Leben. Er arbeite, jagte, spielte und erfreute sich am Leben.
Im Sommer 1915 trat dann eine langsame Veränderung ein. Seine Kraft und Energie ließ nach. Er verlor das Interesse daran, seinen Bogen zu schießen. Seine Haut verdunkelte sich, er verlor an Körpergewicht und er ruhte sehr viel, fast beständig. Er wurde von dem Universitätshospital in San Francisco nach Berkley gebracht, wo er für drei Monate im Haus von Professor T. T. Waterman in strikten hygienischen Verhältnissen verbrachte, unter der ständigen Obhut von Dr. E. Saphir. Als sich seine Gesundheit weiter verschlechterte, wurde er zurück in das Universitätshospital gebracht, wo man letztendlich feststellte, daß er unter Tuberkulose litt. Obwohl die offizielle Diagnose, Tuberkulose war, kann ich mir doch nicht helfen zu glauben, daß es die Zivilisation war, die ihm den Tod brachte.
Im Oktober 1915 verbesserte und stabilisierte sich der Zustand seiner Lunge. Er wurde in ein Quartier des Universitäts-Museum verlegt, wo sich Dr. Kruse, Dr. Pope und Mr. Warburton ständig um ihn kümmerten.
Aber das Fieber und seine Schwäche hielt an und sein Husten wurde schlimmer. Essen wurde unmöglich und das Wasser der Stadt schmeckte nicht länger gut für ihn. Pope erfüllte Ishis Wunsch, ihm frisches Quellwasser zu bringen. "Sweet water", süßes Wasser, wie der Indianer es nannte.
Obwohl Ishi langsam verhungerte, von Hustenkrämpfen geschüttelt wurde und unter ständigen Schmerzen litt, so schrieb Dr. Pope, beklagte er sich nicht ein einziges mal. Er sprach niemals über sein Leiden, oder über die Möglichkeit seines Todes.

Im März 1916, als seine Schwäche lebensbedrohend wurde, brachte man ihn zurück ins Hospital, wo man ihn besser versorgen und künstlich ernähren konnte.
Kurz nachdem er wieder im Hospital lag, erlitt er einen schlimmen Lungen-Blutsturz. Dr. Saxton Pope wurde an seine Seite gerufen. "Mit stoischer Ruhe, schaute Ishi auf die großen Mengen Blut, die aus seiner Nase und seinem Mund kamen. Ich gab ihm eine große Dosis Morphium. Kurz darauf verstarb er, um 12.30 Uhr, am 16. März 1916." Ishis Körper wurde der Autopsie übergeben und dann zu einem Beerdigungsinstitut gebracht, wo man ihn einbalsamierte. Es gab kein offizielles Begräbnis, jedoch kamen viele gute Freunde von ihm in den Aufbahrungsraum.

Saxton Pope legt ihm seinen Bogen, einen Köcher voller Pfeile, zehn Stücke "Indianergeld", getrocknetes Wildfleisch, Eichelmehl, seine Feuerstöcke, drei Ringe, etwas Obsidian und eine kleine Menge Tabak in seinen Sarg. Da der Indianer Pope vor vielen Jahren erzählt hatte, daß die richtige Weise einen Toten zu bestatten wäre, ihn zu verbrennen, dachten seine Freunde, daß eine Feuerbestattung nach seinem Wunsch sein würde. Pope dachte, daß eine kleine schwarze Pueblo-Ton Schale passender sei als die Bronze- oder Onyxurnen die normalerweise in den Krematorien verwendet wurden.

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"Dann brachten wir den Körper zum Laurel Hill Friedhof, nahe San Francisco, wo er im Krematorium verbrannt wurde. Seine Asche wurde in eine kleinen indianischen Tonschale gefüllt, auf deren Außenseite steht:

" Ishi, der letzte Yahi-Indianer,
gestorben am 25 März, 1916."

Ishis Asche ruht am Mount Olivet, heute der "Olivet Gedächtnis Park", nicht weit außerhalb der Stadtgrenze von San Francisco. Aber ich denke, wir alle wissen in unserem Herzen, wo er in Wirklichkeit ist.

In den Ewigen Jagdgründen.

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