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Mit dem Kuhessen ein
Kulturdenkmal retten
Wie eine Jugendstilkirche ins hohenlohische Gaggstatt kam Pfusch am
Bau gibt es nicht erst in unserem Tagen. In Gaggstatt in Hohenlohe mußte
eine gerade 90jährige Dorfkirche renoviert werden. Mit viel Phatasie haben
Pfarrer und Gemeinde Geld für die Sanierung aufgetrieben.
Von Karin Wohlschlegel
"Siehe da - eine Hütte Gottes bei den Menschen.'' Von weitem
sieht man sie schon mir ihren beiden merkwürdigen Türmen. Es ist
natürlich keine Hütte, sondern die wunderliche und wunderbare
Dorfkirche von Gaggstatt, einem kleinen Ort ganz hinten in Hohenlohe, in der
Nähe der alten Residenz Kirchberg an der Jagst. Der berühmte
Stuttgarter Architekt Theodor Fischer (1862-1938) hat sie in nur wenigen
Monaten von 1904 bis 1905 gebaut, weil die alte Kirche schon lange
baufällig war. Aber man hat sie arg schnell gebaut, die neue Kirche. So
mußte man Ende 1997 ein paar Eimer vor dem Altar aufstellen, weil sich
der Turm vom Kirchenschiff wegbewegte und es durch die Lücke
hereinregnete. Heute sieht man davon nichts mehr. Die Jugendstilkirche, die in
Wahrheit eine Fischerkirche ist, steht da wie neu. Fischer hat sie nach seinen
ökologischen Prinzipien gebaut, hat hohenlohischen Sandstein benutzt, hat
mit den unglaublich vielen Dächern die umgebende Hügellandschaft
nachempfunden.
Die Steine sind von ganz unregelmäßiger Größe, was durch
die weiß verputzten Fugen noch hervorgehoben wird, und trotzdem
versammelt sich diese Unregelmäßigkeit zu einem durch und durch
regelmäßigen Gebäude. Die evangelische Kirche von Gaggstatt
steht nicht frei im Dorf. Der Architekt hat Teile der uralten Mauern des
Vorgängerbaus verwendet, um mitten im Dorf eine Zone der Ruhe zu schaffen.
Es ist auch kein breites herkömmliches Portal, das zum Besuch der Kirche
einlädt. Man muß eine schmale Treppe hinaufsteigen und befindet sich
sofort in einer anderen, stilleren Welt. Vor dem Portal ein Leuchter, von dem
ein kleiner metallener Fisch herabhängt, das uralte Erkennungszeichen der
Christen. Dieser Fisch kündigt auch das Programm der Kirche an, die nicht
einfach ein Haus für betende Menschen sein soll, sondern eine
steingewordene Predigt. Ihr Thema ist das Wasser in allen Variationen. Das
beginnt mit den Bänken, die blaugrün gestrichen sind und durch
unterschiedliche Breite aussehen wie Wellen, setzt sich fort in den Leuchtern
mit ihren Tropfen, bis hin zum Chorbogen, der als Regenbogen das Wasserprogramm
beschließt. Der Taufstein stammt von Paul Bonatz, dem Erbauer des
Stuttgarter Hauptbahnhofs, der als Assistent bei Fischer gearbeitet hatte.
Die Kirchenbänke reichen bis dicht vor den Altar: dies soll eine
Gemeindekirche sein, keine Pfarrerkirche. Es ist ein Glück für die
kleine Gemeinde von Gaggstatt, daß der heutige Pfarrer Willi
Mönikheim heißt, ein zupackender Hohenloher, 1931 in Creglingen
geboren, der mit gleicher Begeisterung über die Zahlensymbolik der
grünen Kassettendecke referiert wie über die Frage, ob man den
ursprünglich bunt ausgemalten Chorraum wieder in seinen alten Farben
herstellen soll: Da siegte denn doch der Kirchenmann über den Freund der
Architektur; von der andersartigen Anmutung der Farben spricht er, daß
ein und derselbe Farbton vor 90 Jahren von den Menschen ganz anders gesehen
wurde als heute und daß er - bei allem Denkmalschutz - kein Museum haben
wolle, sondern eine lebendige Kirche in Hohenlohe, in der die
Weihnachtsgeschichte auch auf hohenlohisch erzählt wird.
Da ist man dann schnell beim Verhältnis der Gemeinde zu diesem
Gebäude. Damals, 1904, waren die Gaggstatter überhaupt nicht
begeistert von Fischers Entwurf. Eine schicke neugotische Kirche, wie sie
damals Mode war, hatten sie sich vorgestellt. Aber nun kam ein Professor aus
Stuttgart, der sich schon lange gewünscht hatte, eine Kirche bauen zu
dürfen (und der später nicht nur die Garnisonkirche in Ulm baute,
sondern auch noch das Stuttgarter Kunstgebäude), und errichtete eine
Kirche, wie es sie noch nicht gegeben hatte. Der damalige Pfarrer schrieb, die
Jahre des Kirchenbaus seien die härtesten seines Lebens gewesen. Die
Gemeinde habe nicht eingesehen, daß die neue, 70.000 Mark teure Kirche
durch den verwendeten Sandstein von Anfang an alt aussehen mußte und so
wenige Fenster in so großer Höhe hatte, daß man "das
Licht mit Säcken hineintragen'' müsse. Aber, so vermutet Willi
Mönikheim, es lag wohl auch daran, daß der Architekt während
der Bauzeit sage und schreibe nur zweimal in Gaggstatt war und es
versäumte, der Gemeinde zu erklären, was er sich gedacht hat.
Der heutige Pfarrer jedenfalls kann sich über seine Gemeinde nicht
beschweren. Der größte Teil der Kosten der Renovierung (mehr als 1,5
Millionen Mark) wurde zwar von der württembergischen Landeskirche, dem
Landesdenkmalamt, der EU und dem Kirchenbezirk getragen, aber die
Kirchengemeinde mußte auch mehr als 400.000 Mark beitragen. Die Bausumme
für die am 8.November 1998 wiedereröffnete Kirche wäre noch
wesentlich höher geworden, hätte nicht eine Reihe von
Gemeindegliedern monatelang mitgeholfen, allen voran ein gelernter Steinmetz,
der nun den stolzen Beinamen ¸¸Dombaumeister'' trägt.
Ein kurzer Auftritt der Kirche in der SDR-Serie "Pfarrerin Lenau'' hat
viele Besucher nach Gaggstatt gelockt und eine weitere Geldquelle für die
Gemeinde erschlossen: Im Anschluß an die Führung durch die Kirche
bietet Pfarrer Mönikheim zusammen mit einigen Frauen aus dem Ort ein
"Kuhessen'' in der umgebauten Pfarrscheuer an; Nudelsuppe,
süßsaure Gurken, Siedfleisch mit Meerrettich und Kartoffeln,
Weinsauce - der erste Teil des traditionellen hohenlohischen Hochzeitsessens.
Natürlich muß heutzutage auch ein Pfarrer den erforderlichen Kurs
bei der IHK absolvieren, bevor er Besucher bewirtet - nun ist er
"geprüfter Wirt'' und begrüßt etwa 100 Gruppen im Jahr,
die auf diese Weise ihr Scherflein zur Renovierung der Kirche beitragen.
Führungen und Kuhessen können mit Pfarrer Willi Mönikheim
direkt vereinbart werden, Tel. 07954/618. Wer mehr über den Architekten
Theodor Fischer wissen möchte, kann in der Stuttgarter Erlöserkirche
in der Birkenwaldstraße eine Ausstellung besuchen bis zum 2.Februar 1999,
Mi 11-16 Uhr, Sa 10-13 Uhr, So 10.30-13 Uhr.
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