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Archäologen entdecken
Gestüt für die römische Kavallerie
Heeresproviantamt in Bietigheim hat auch für die Remonten gesorgt -
Pferde für das Welzheimer Reiterkastell BIETIGHEIM-BISSINGEN. Einem
Gestüt, das vor 1800 Jahren die römische Kavallerie mit Pferden
versorgt hat, sind Landesarchäologen im Gebiet Weilerlen in Bietigheim
(Kreis Ludwigsburg) auf der Spur.
Von Dieter Kapff
Für Fachleute ist es nicht ungewöhnlich, daß wichtige und
überraschende Ergebnisse archäologischer Ausgrabungen erst Jahre
später, bei der Auswertung der Funde und Befunde, zutage treten. So auch
jetzt wieder, als der Doktorand der Provinzialrömischen Archäologie,
Gereon Balle, sich intensiv mit den Grabungsergebnissen von
Bietigheim-Weilerlen beschäftigte. Dort war in den Jahren 1986 bis 1988
von Landesarchäologen unter der Leitung von Ingo Stork eine große,
ungewöhnliche römische Gutsanlage untersucht worden, die schon bald
als Staatsbetrieb erkannt wurde.
Riesige Getreidespeicher unterscheiden die Anlage von einem gewöhnlichen
römischen Gutshof. Das ¸¸römische Heeresproviantamt'', also
eine Sammelstelle für den Nachschub an die Truppen am Limes, wies aber
noch andere Besonderheiten auf. Im Nordosten, innerhalb der mauerumwehrten
Anlage, liegt eine 1,2 Hektar große Fläche, auf der keine
Gebäude standen und durch die sich eine Bachsenke zog. Auf der
Südseite war ein fünfeckiges Bauwerk an die Mauer angebaut, dessen
ungewöhnlicher Grundriß den Archäologen Rätsel aufgab. Die
Maße, etwa 35 mal 20 Meter, lassen eine stützenlose Überdachung
nicht zu. Balle deutet das Fünfeck als Abrichtplatz für Pferde.
Hier habe man die Tiere an der Longe geführt. In Römerkastellen, wie
etwa in Unterkirchberg bei Ulm, sind diese Plätze meist rund, denn dort
hatte man es mit bereits abgerichteten Pferden zu tun. Die eckige Form in
Bietigheim-Weilerlen war dagegen für den Umgang mit ganz jungen Tieren
günstiger, die bei der Dressur gerne ausbrechen. Dort konnten sie in die
Ecke getrieben und dann wieder angezäumt werden.
Die Freifläche im Norden war der Auslauf der Tiere, versehen mit einer
Tränke. Balle hat auch ein Stallgebäude ausgemacht, in dem 24 Pferde
standen. Es gab wohl noch einen weiteren Stall. Außerdem müssen
Scheuern für die Lagerung von Gerste, die an die Pferde verfüttert,
und Streu, die in die Ställe gestreut wurde, aber auch Heu, das
Zusatzfutter war, vorhanden gewesen sein.
Jörg Scheuerbrandt, ein Mitarbeiter des Württembergischen
Landesmuseums, hat im Katalog zu der gerade im Genohaus in Stuttgart gezeigten
Ausstellung ¸¸Reiter wie Statuen aus Erz'' einmal die Rechnung
aufgemacht, wieviel eine 500 Mann starke römische Reitereinheit (Ala) an
Fourage für die Soldaten und für die Pferde benötigte. Die
Reiter und Pferdeknechte verbrauchten jährlich 308 Tonnen Weizen, die
Pferde 372 Tonnen Gerste. Dazu kamen noch 410 Tonnen Heu als Winterfutter. Im
Sommer konnte das Grünfutter durch vierstündiges Grasen auf der Weide
gewonnen werden.
Der kaiserliche Regiebetrieb in Bietigheim hatte mit seinen großen
Speichern und Darren den Nachschub für die Truppe sicherzustellen. Das
gilt, jedenfalls zum Teil, auch für die Remonten, also die Ersatzpferde
für die Kavallerie. Nach 20 bis 25 Jahren mußten die Tiere aus dem
aktiven Dienst ausgesondert werden, wenn sie nicht zuvor im Kriegseinsatz ums
Leben kamen. Die Aufgabe des römischen Gestüts in Bietigheim war
dabei nicht nur die Pferdezucht, sondern auch die Ausbildung der Pferde
für die Kavallerie, die etwa vier Jahre dauerte. Erst dann konnte der
Ersatz an die Einheiten abgegeben werden. Scheuerbrandt rechnet mit einem
jährlichen Bedarf von 75 Pferden für eine 500 Mann starke Ala. Man
wird dies im ¸¸Friedenseinsatz'' bei weitem nicht benötigt
haben.
Das Gestüt in Bietigheim hat seine Pferde vermutlich der
nächstgelegenen Kavallerieeinheit zugeführt, die von der zweiten
Hälfte des 2.Jahrhunderts an in Welzheim im Westkastell in Garnison lag
und von dort aus große Strecken des Limes kontrollierte. Es ist die Ala I
Scubulorum, die zuvor in Stuttgart-Bad Cannstatt stationiert war. Für ein
halbes Jahrhundert war ¸¸Auf der Steig'', einer Anhöhe über
dem Neckartal, einer der wichtigsten Militärstützpunkte der
Römer in der Provinz Obergermanien. Dort kamen die Römerstraßen
von Mainz, Straßburg und Augsburg zusammen. Das Reiterkastell in
Cannstatt liegt, welch historischer Zufall, genau unter der Reiterkaserne, die
vor dem Ersten Weltkrieg errichtet worden ist.
Da die Reitersoldaten von Cannstatt bereits um die Mitte des 2. Jahrhunderts 35
Kilometer weiter nach Osten, an den Limes nach Welzheim verlegt wurden, kann
das Gestüt in Bietigheim den Pferde-Nachschub nicht nach Cannstatt
geliefert haben. Für die Cannstatter Reiter muß es zuvor also andere
römische Pferdezuchten in der Region gegeben haben. Dabei ist an
¸¸Gutshöfe'' bei Enzberg und bei Roßwag (im Kreis
Ludwigsburg) und vor allem an den im nahegelegenen Stuttgarter Talkessel
gelegenen zu denken. Dort sind im Bereich der Gleisanlagen des Hauptbahnhofs
zwischen der Heilbronner Straße und den Unteren Anlagen im vergangenen
und diesem Jahrhundert Reste eines ¸¸römischen Gutshofs''
entdeckt worden. Zuletzt ist bei der Anlage des Zentralen Omnibusbahnhofs die
Umfassungsmauer angeschnitten worden.
Im nassen Wiesengelände der Nesenbachniederung war an Ackerbau nicht zu
denken. Wohl aber an Viehzucht. Wie 800 Jahre später, als ein Stutengarten
zur Keimzelle Stuttgarts wurde. Dort werden deshalb die Landesarchäologen
mit ihren Untersuchungen ansetzen müssen, wenn das Gelände beim
Bahnhofsumbau (Stuttgart 21) umgepflügt wird.
Über die römische Reiterei am Limes informiert noch bis zum 13.
Januar eine Ausstellung im Stuttgarter Geno-Haus. Sie ist montags bis freitags
von 9 bis 18 Uhr, samstags nur bis 13 Uhr geöffnet. An Dreikönig von
10 bis 18 Uhr. Der Katalog ¸¸Zwischen Patrouille und Parade'' kostet
15 Mark.
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