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Ein großer Anreger und
Mentor
Zum Tod des Stuttgarter Architekten Rolf Gutbrod, des Vaters der
Liederhalle Unter den Architekten der Nachkriegszeit gilt er als einer
der bedeutendsten, der mit seinen Bauten nicht nur das Gesicht dieser Stadt
prägen sollte. Rolf Gutbrod war ein großer Anreger der
fünfziger Jahre. Durch ihn befreite sich die Architektur von der öden
¸¸Rasteritis'' der ersten Aufbauphase, ihm verdankte sie ihre Abkehr
vom Bierernsten und Festgefügten, wie es sich beispielsweise noch in Paul
Schmitthenners Königin-Olga-Bau, der heutigen Dresdner Bank, von 1950
manifestiert. Läßt sich ein größerer Gegensatz denken als
der zwischen diesem gravitätischen Kasten an der Königstraße
und Gutbrods beschwingter Liederhalle von 1955/56, mit der sein Name untrennbar
verbunden bleiben wird?
Locker gewoben, mit asymmetrischen Sälen, in denen Parkett und Emporen
fließend miteinander verbunden sind, verkörpert sie gleichsam
musikgewordene Raum- und Baukunst. Mit diesem Konzerthaus, das bereits Gutbrods
ganze architekturtheoretische Programmatik entfaltet, gelang ihm auf Anhieb der
große Wurf. Der Bau, eigentlich ein aus unterschiedlichen Körpern
komponiertes Ensemble, knüpfte an die von Hugo Häring, Hans Scharoun,
aber auch von Rudolf Steiner vor dem Krieg entwickelte Vorstellung von einer
organisch-plastischen Ausdeutung der Moderne an. Nach 1945 war er ein Fanal,
ein Neubeginn und ein Aufbegehren gegen die funktionalistische Reduktion auf
das Zweckhafte der Architektur - ein exemplarischer Bau der fünfziger
Jahre, der inzwischen unter Denkmalschutz steht und bis heute zum Besten
zählt, was Stuttgart zu bieten hat.
Wer sich im Fach damals auskannte, der betrachtete allerdings einen
früheren, viel kleineren und weniger spektakulären Gutbrod-Bau als
ein Schlüsselwerk: die für die Bundesgartenschau gebaute Milchbar auf
dem Killesberg von 1952. Dieses von einer leichten Stahlkonstruktion
überdeckte, nach vorn verglaste, seitlich und hinten von massiven
Natursteinwänden umschlossene Restaurant, das dem Architekten und
einstigen Gutbrod-Schüler Hans Kammerer als ¸¸Kultbau'' in
Erinnerung geblieben ist, wirkte auf Gutbrods Kollegen im Trümmerfeld der
Nachkriegsjahre verheißungsvoll wie ¸¸ein großer farbiger
Schmetterling''. Die Spur von Gutbrods Wirken läßt sich denn auch
bei der Erneuerung der Stuttgarter Schule bis heute erkennen - am deutlichsten
wohl bei Günter Behnisch, der die Abneigung gegen alles Sperrige,
Monumentale von seinem Lehrer geerbt hat, ebenso wie dessen Vorliebe fürs
Luftige, Informelle, unkonventionell Gefügte.
Die leichten Wellblechdächer und -fassaden von Behnisch und den
Architekten in seinem Gefolge haben ihre Vorläufer in Gutbrods
Gebäude der Holzberufsgenossenschaft (1958) an der Charlottenstraße.
Weitere Bauten in Stuttgart sind das klare, ruhige Gebäude für die
Firma Porsche (1952), das Hahn-Hochhaus an der Theodor-Heuss-Straße (ein
Zeigefinger gegen die damals übliche Kastenbauweise, 1965), die
Baden-Württembergische Bank am Kleinen Schloßplatz, die sich redlich
um eine plastische Fassade bemüht, sowie die anthroposophisch
verschrägte Waldorfschule am Kräherwald und das Haus für den
Süddeutschen Rundfunk.
So wichtig wie Gutbrods Einfluß als Architekt ist auch seine Rolle an
der Stuttgarter Hochschule einzuschätzen, wo er seit 1947 als
Lehrbeauftragter und später als Ordinarius für Innenraumgestaltung
und Entwerfen tätig war. Seine Schüler schätzten ihn nicht nur
als liberalen Lehrer, sondern vor allem auch als faszinierende
Persönlichkeit. ¸¸Die einzige, die in diese verhockte Schule
internationales Flair gebracht hat'', so will es Hans Kammerer
rückblickend erscheinen.
Ein ¸¸waschechter Stuttgarter'', für den Rolf Gutbrod sich
selbst hielt, war er in Wirklichkeit daher nur bedingt. Zwar ist er hier am 13.
September 1910 zur Welt gekommen, zwar ist er in Stuttgart aufgewachsen und zur
Schule und auf die Universität (damals TH) gegangen, mit wachsendem Ruhm
aber entwickelte er sich zum Weltbürger. Er lehrte in Istanbul und
Seattle. 1967 wurde er weit über die Grenzen seiner schwäbischen
Heimat hinaus bekannt mit dem zeltartigen deutschen Pavillon der
Weltausstellung in Montreal, mit dem auch die Zusammenarbeit mit Frei Otto
begann. (Eine Miniaturversion dieses Pavillons ist auf dem Campus
amPfaffenwaldring erhalten geblieben.) Höhepunkte seines internationalen
Erfolgs, den zahlreiche Preise und Ehrungen bestätigten, waren
schließlich das gemeinsam mit Frei Otto geplante Konferenzzentrum in
Mekka (1974) und Regierungsbauten in Riad, allesamt Bauten, die sich positiv
von den kitschigen Wüstenschlössern abhoben, mit denen andere
europäische oder amerikanische Architekten die arabischen Länder
beglückten.
Seine wohl bitterste Niederlage mußte Rolf Gutbrod einstecken, als
sein Kunstgewerbemuseum am Berliner Kulturforum in der Öffentlichkeit
durchfiel. Der 1985 nur eine Woche nach Richard Meiers elegantem Frankfurter
¸¸Museum für Kunsthandwerk'' eröffnete Bau galt nach mehr
als zwanzig Jahren Planungs- und Bauzeit als ästhetisch überholt,
Gutbrod wurde der Auftrag für die Gesamtplanung des Museumskomplexes
daraufhin entzogen.
Danach hat er sein Büro aufgegeben und sich, zermürbt von den
ewigen Auseinandersetzungen mit den Baubehörden und der harschen Kritik an
seinem mißglückten Museum, von der Architektur zurückgezogen.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Dornach, in der Nähe des
Goetheanums von Rudolf Steiner, dem er sich seit seiner Schulzeit an der
Stuttgarter Waldorfschule geistig verbunden fühlte.
Dort ist Rolf Gutbrod am 5. Januar im Alter von achtundachtzig Jahren
gestorben. Von Amber Sayah
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