Stuttgarter Zeitung Kultur 07.01.1999



Ein großer Anreger und Mentor

Zum Tod des Stuttgarter Architekten Rolf Gutbrod, des Vaters der Liederhalle

Unter den Architekten der Nachkriegszeit gilt er als einer der bedeutendsten, der mit seinen Bauten nicht nur das Gesicht dieser Stadt prägen sollte. Rolf Gutbrod war ein großer Anreger der fünfziger Jahre. Durch ihn befreite sich die Architektur von der öden ¸¸Rasteritis'' der ersten Aufbauphase, ihm verdankte sie ihre Abkehr vom Bierernsten und Festgefügten, wie es sich beispielsweise noch in Paul Schmitthenners Königin-Olga-Bau, der heutigen Dresdner Bank, von 1950 manifestiert. Läßt sich ein größerer Gegensatz denken als der zwischen diesem gravitätischen Kasten an der Königstraße und Gutbrods beschwingter Liederhalle von 1955/56, mit der sein Name untrennbar verbunden bleiben wird?

Locker gewoben, mit asymmetrischen Sälen, in denen Parkett und Emporen fließend miteinander verbunden sind, verkörpert sie gleichsam musikgewordene Raum- und Baukunst. Mit diesem Konzerthaus, das bereits Gutbrods ganze architekturtheoretische Programmatik entfaltet, gelang ihm auf Anhieb der große Wurf. Der Bau, eigentlich ein aus unterschiedlichen Körpern komponiertes Ensemble, knüpfte an die von Hugo Häring, Hans Scharoun, aber auch von Rudolf Steiner vor dem Krieg entwickelte Vorstellung von einer organisch-plastischen Ausdeutung der Moderne an. Nach 1945 war er ein Fanal, ein Neubeginn und ein Aufbegehren gegen die funktionalistische Reduktion auf das Zweckhafte der Architektur - ein exemplarischer Bau der fünfziger Jahre, der inzwischen unter Denkmalschutz steht und bis heute zum Besten zählt, was Stuttgart zu bieten hat.

Wer sich im Fach damals auskannte, der betrachtete allerdings einen früheren, viel kleineren und weniger spektakulären Gutbrod-Bau als ein Schlüsselwerk: die für die Bundesgartenschau gebaute Milchbar auf dem Killesberg von 1952. Dieses von einer leichten Stahlkonstruktion überdeckte, nach vorn verglaste, seitlich und hinten von massiven Natursteinwänden umschlossene Restaurant, das dem Architekten und einstigen Gutbrod-Schüler Hans Kammerer als ¸¸Kultbau'' in Erinnerung geblieben ist, wirkte auf Gutbrods Kollegen im Trümmerfeld der Nachkriegsjahre verheißungsvoll wie ¸¸ein großer farbiger Schmetterling''. Die Spur von Gutbrods Wirken läßt sich denn auch bei der Erneuerung der Stuttgarter Schule bis heute erkennen - am deutlichsten wohl bei Günter Behnisch, der die Abneigung gegen alles Sperrige, Monumentale von seinem Lehrer geerbt hat, ebenso wie dessen Vorliebe fürs Luftige, Informelle, unkonventionell Gefügte.

Die leichten Wellblechdächer und -fassaden von Behnisch und den Architekten in seinem Gefolge haben ihre Vorläufer in Gutbrods Gebäude der Holzberufsgenossenschaft (1958) an der Charlottenstraße. Weitere Bauten in Stuttgart sind das klare, ruhige Gebäude für die Firma Porsche (1952), das Hahn-Hochhaus an der Theodor-Heuss-Straße (ein Zeigefinger gegen die damals übliche Kastenbauweise, 1965), die Baden-Württembergische Bank am Kleinen Schloßplatz, die sich redlich um eine plastische Fassade bemüht, sowie die anthroposophisch verschrägte Waldorfschule am Kräherwald und das Haus für den Süddeutschen Rundfunk.

So wichtig wie Gutbrods Einfluß als Architekt ist auch seine Rolle an der Stuttgarter Hochschule einzuschätzen, wo er seit 1947 als Lehrbeauftragter und später als Ordinarius für Innenraumgestaltung und Entwerfen tätig war. Seine Schüler schätzten ihn nicht nur als liberalen Lehrer, sondern vor allem auch als faszinierende Persönlichkeit. ¸¸Die einzige, die in diese verhockte Schule internationales Flair gebracht hat'', so will es Hans Kammerer rückblickend erscheinen.

Ein ¸¸waschechter Stuttgarter'', für den Rolf Gutbrod sich selbst hielt, war er in Wirklichkeit daher nur bedingt. Zwar ist er hier am 13. September 1910 zur Welt gekommen, zwar ist er in Stuttgart aufgewachsen und zur Schule und auf die Universität (damals TH) gegangen, mit wachsendem Ruhm aber entwickelte er sich zum Weltbürger. Er lehrte in Istanbul und Seattle. 1967 wurde er weit über die Grenzen seiner schwäbischen Heimat hinaus bekannt mit dem zeltartigen deutschen Pavillon der Weltausstellung in Montreal, mit dem auch die Zusammenarbeit mit Frei Otto begann. (Eine Miniaturversion dieses Pavillons ist auf dem Campus amPfaffenwaldring erhalten geblieben.) Höhepunkte seines internationalen Erfolgs, den zahlreiche Preise und Ehrungen bestätigten, waren schließlich das gemeinsam mit Frei Otto geplante Konferenzzentrum in Mekka (1974) und Regierungsbauten in Riad, allesamt Bauten, die sich positiv von den kitschigen Wüstenschlössern abhoben, mit denen andere europäische oder amerikanische Architekten die arabischen Länder beglückten.

Seine wohl bitterste Niederlage mußte Rolf Gutbrod einstecken, als sein Kunstgewerbemuseum am Berliner Kulturforum in der Öffentlichkeit durchfiel. Der 1985 nur eine Woche nach Richard Meiers elegantem Frankfurter ¸¸Museum für Kunsthandwerk'' eröffnete Bau galt nach mehr als zwanzig Jahren Planungs- und Bauzeit als ästhetisch überholt, Gutbrod wurde der Auftrag für die Gesamtplanung des Museumskomplexes daraufhin entzogen.

Danach hat er sein Büro aufgegeben und sich, zermürbt von den ewigen Auseinandersetzungen mit den Baubehörden und der harschen Kritik an seinem mißglückten Museum, von der Architektur zurückgezogen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Dornach, in der Nähe des Goetheanums von Rudolf Steiner, dem er sich seit seiner Schulzeit an der Stuttgarter Waldorfschule geistig verbunden fühlte.

Dort ist Rolf Gutbrod am 5. Januar im Alter von achtundachtzig Jahren gestorben.

Von Amber Sayah

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