Stuttgarter Zeitung Kreis Ludwigsburg 16.01.1999



Die "gute Stube'' liegt in Trümmern

Besigheims Kameradschaftshaus wird abgerissen - Investor baut Wohn- und Geschäftshaus

BESIGHEIM. Über den Namen ist nach dem Krieg in der Stadt viel gestritten worden. Eines freilich stand fest: das Kameradschaftshaus war der Besigheimer Veranstaltungsort schlechthin. Jetzt ist der Abrißbagger am Werk.

Von Daniela Mack

Von der ¸¸guten Stube'' der Stadt Besigheim stehen mittlerweile nur noch wenige Mauerreste. Die Fenster, Böden und Balken werden sortiert und abgefahren. Die Stadt will das geräumte Grundstück an einen privaten Bauträger aus dem benachbarten Ottmarsheim verkaufen. Der Vertrag wird in diesen Tagen unterzeichnet. Gegenüber dem Bahnhof wird ein Wohn- und Geschäftshaus mit eigener Tiefgarage entstehen. Im Erdgeschoß werden zwei Läden eröffnen, ins Obergeschoß ziehen das Planungsbüro sowie eine Arztpraxis ein. Außerdem sollen insgesamt sieben Eigentumswohnungen entstehen. Das ebenfalls neue Nebengebäude wird die Diakoniestation der evangelischen Kirche erwerben und hier ihre Zentrale für die ganze Region einrichten.

Der Vorgängerbau aus dem Jahr 1878 hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Er diente als Gasthaus ¸¸Zum Bahnhof'', beherbergte die Württembergische Tabakfabrik und wurde als Gewerbeschule genutzt. In den 70er Jahren zogen Arztpraxen und Notariate ein. Zuletzt waren in den Wohnungen der oberen Etagen Asylbewerber untergebracht.

Die ¸¸große Zeit'' des Gebäudes begann 1936, als im ersten Stock ein Veranstaltungsraum mit Bühne eingebaut wurde - und der nationalsozialistisch gefärbte Name Kameradschaftshaus entstand. Von den 30er Jahren an wurde der Saal fleißig genutzt: die Theateraufführungen und Konzerte prägten das Besigheimer Kulturleben. Auch Vereine und Hochzeitsgesellschaften fanden hier Platz zum Feiern für bis zu 500 Personen. Die Einweihung der Stadthalle Alte Kelter im Jahr 1989 besiegelte dann den Niedergang des Kameradschaftshauses. Der Veranstaltungssaal wurde nicht länger gebraucht.

Eine Beurteilung des Landesdenkmalamtes ergab, daß eine Sanierung nicht sinnvoll ist. Das Gutachten habe ¸¸eindeutig'' empfohlen, daß das Gebäude abgerissen werden sollte, sagt Besigheims Stadtbaumeister Alfred Saussele. Also habe die Stadt das ihr gehörende Grundstück zum Verkauf ausgeschrieben. Da das Gebäude im Sanierungsgebiet liegt, kann das Rathaus für die Abrißkosten mit einem Zuschuß aus dem Sanierungstopf des Landes rechnen.

Am Mittwoch sind die Bagger angerückt, die noch einige Zeit beschäftigt sein werden. Im Besigheimer Rathaus schaut man mit Sorge auf den Kalender. Der Bau soll laut Saussele schon im Februar beginnen: ¸¸Wir wollen, daß der Bauträger gleich loslegt.'' Bis September soll der Rohbau stehen. Denn der Festzug zum Winzerfest stellt sich traditionell vor dem Kameradschaftshaus auf.

Der Neubau wird auch ein aufpoliertes Umfeld bekommen. Gleich im Anschluß an das Winzerfest will die Stadt mit dem Umbau des Bahnhofsplatzes beginnen. Hier soll ein zentraler Omnibusbahnhof entstehen, an dem künftig alle Stadtlinien und die Busse in die Umgebung halten und abfahren werden. Die Gesamtkosten summieren sich auf weit mehr als zwei Millionen Mark, wobei wiederum Sanierungzuschüsse fließen werden.

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