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Reichenau will auf die Liste
Anerkennung als Kulturerbe bei der Unesco beantragt REICHENAU, Kreis
Konstanz. Die Insel Reichenau soll zum Weltkulturerbe erklärt werden.
Wirtschaftsminister Döring ließ sich vor Ort die architektonischen
Schätze zeigen und nahm die umfangreiche Dokumentation des Antrags an die
Unesco entgegen.
Von Franz J. Schmid
Hauptkonservator Wolfgang Stopfel vom Landesdenkmalamt öffnete in der
St. Georgskirche in Oberzell den Karton mit den Antragsunterlagen. Ein dickes
Buch gibt allein die graphische Darstellung mit 70 historischen und
neuzeitlichen Karten, Fotografien und Reproduktionen. Dazu kommen zwei
umfängliche Textbände. Nicht nur die Kunst wird beschrieben, sondern
auch Lage und Umgebung. Der Minister war angetan von der Darstellung und will
die wissenschaftliche Untersuchung selbst in Bonn überreichen.
Der Antrag wird zunächst der Kultusministerkonferenz vorgelegt und dann
nach Paris weitergeleitet. Dort befaßt sich die Welterbekommission der
Unesco damit. Die förmliche Ernennung zum Erbe der Menschheit ist im
Herbst 2000 zu erwarten. Bisher ist in Baden-Württemberg allein das
Kloster Maulbronn als Welterbe anerkannt. Als weitere Projekte werden
Heidelberg und der römischen Limes ins Auge gefaßt.
Wolfgang Stopfel lenkte den Blick vom Papier auf das Original. St. Georg in
Oberzell sei die einzige Kirche nördlich der Alpen, die noch vor dem Jahr
1000 völlig ausgemalt wurde. "Ein Spitzenwerk der europäischen
Kunst'', urteilt Stopfel, aber doch nur die Spitze von allem, was auf der Insel
geschaffen und erhalten wurde. Im Jahr 724 erhielt der Missionsbischof Pirmin
die Insel geschenkt und baute das erste Kloster. Die Zahl läßt sich
durch den archäologischen Befund belegen, denn das älteste Bauholz
wurde 722 geschlagen. Das hat die dendrologische Untersuchung gezeigt. Auf der
Reichenau entstanden drei romanische Kirchen auf einer knappen Wegstunde
Entfernung, alle drei Gotteshäuser stehen noch.
Auch der Ostteil der Kirche in Mittelzell stammt aus karolingischer Zeit. Er
wurde 860 gebaut und ist das früheste Beispiel einer durch Bögen
abgetrennten Vierung. Die Äbte der Reichenau waren Prinzenerzieher,
Kanzler, Bischöfe, etwa in St. Denis bei Paris. Bis heute besitzt
Reichenau wertvolle Reliquienschreine. "Eigentlich ist die Reichenau schon
Weltkulturerbe,'' sagte Stopfel, sie müsse nur noch formal dazu
erklärt werden.
Das Klosterareal sei auch archäologisch vorzüglich erforscht, darauf
machte Dieter Planck, der Präsident des Landesdenkmalamts aufmerksam. Im
Kreuzgang wurde die Anlage einer Warmluftheizung gefunden, wie sie zuvor in
römischer Zeit gebaut worden war. Der Boden der Insel sei noch voll mit
Kulturdenkmälern von denen einige wohl in die alemannische Zeit
zurückreichten. Planck, der Archäologe ist, sieht die Insel im
Bodensee als "einen zentralen Punkt der Landesgeschichte.''
Der Minister will die "einzigartige Kombination von Kunst, Landwirtschaft
und Tourismus'' unterstreichen. Auf der Insel selbst sind aber die Bedenken
nicht völlig ausgeräumt, daß der Denkmalcharakter die
Entwicklung der Gemeinde stören könnte. Denkmalpräsident Dieter
Planck bestritt nicht, daß mit dem Weltkulturerbe ¸¸gewisse
Konsequenzen'' verbunden seien, doch Vorbehalte habe es auch bisher schon
gegeben. So durften in der unmittelbaren Umgebung des Münsters keine
Gewächshäuser errichtet werden.
Der Minister versicherte, die Reichenauer hätten keine zusätzlichen
Einschränkungen zu erwarten. Maulbronn habe gezeigt, daß mit der
Erklärung der Unesco das Interesse und damit die Zahl der Besucher fast
schlagartig wachse, erläuterte Planck. Wenn das Kulturerbe
Qualitätstourismus entstehen ließe, wäre das den Reichenauern
nur recht.
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