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Baumeister in einer umwälzenden ZeitFritz Leonhardt,
der Erbauer des Stuttgarter Fernsehturms, ist im Alter von 90 Jahren
gestorben
Stuttgart - Nur wenigen Menschen ist es vergönnt, sich mit
ihrem Schaffen einen Platz im Herzen einer Stadt zu schaffen- noch dazu, wenn
sie Architekten, oder, wie im Falle Fritz Leonhardts, von Haus aus Ingenieure
sind. Leonhardt ist es gelungen. ¸¸Sein'' Stuttgarter Fernsehturm
ist ein Symbol, das Wahrzeichen einer Stadt und eines Bundeslandes. Mehr noch:
Der Turm auf dem Bopser ist etwas Einzigartiges, ein Bauwerk, das im Erleben
Gemeinschaft schafft.
Von MICHAEL ISENBERG
und NIKOLAI B. FORSTBAUER
Juli 1999. Wie begegnet ein junger Redakteur einem solchen Herrn,
drei Tage vor dessen 90.Geburtstag? Mit Respekt, mit Höflichkeit,
vielleicht sogar mit ein wenig Ehrfurcht, und - nicht zuletzt - auch mit
Neugierde. Leonhardt hat es zugelassen. Nicht herablassend, wohlwollend,
sondern mit ehrlicher Freude über die Interesse an seiner Person.
Souverän.
Der ¸¸Herr Professor'', wie ihn die Mitarbeiter des
Ingenieurbüros Leonhardt, Andrä und Partner auch nach dem Ausscheiden
aus der Tagesarbeit nennen, empfängt in seinem Arbeitszimmer in der
Lenzhalde. Ein Türschild, in steiler, akkurater Schrift: Leonhardt.
Dahinter ein gemütliches Zimmer, mehr Studierstube als Büro. Der
Blick geht über Bäume in den steil abfallenden Talkessel hinab. Er
bittet Platz zu nehmen. Nicht vor dem großen Holzschreibtisch, sondern in
der dünn gepolsterten Sitzecke. 50er-Jahre-Charme, durchgesessen,
gelebt.
Ein weißer, voller, zur Seite gekämmter Haarschopf. Der
Körper kraftvoll, energisch. Eine große Brille und hellwache Augen.
Das Hemd leger, offen- sein einziges Zugeständnis an die Sommerhitze
draußen. Streifzüge durch die Biographie. Zunächst geht es fast
ausschließlich um die Arbeit. Nicht, dass er das Private verbergen, dass
er sich dem anekdotischen Schwenk verweigern würde- er weist es nur an
seinen Platz.
Geboren wurde Fritz Leonhardt am 11.Juli 1909 als Sohn eines
Architekten in Stuttgart. Immer wieder stellt der Vater den Buben auf die
Probe. ¸¸Wenn wir spazieren gingen, fragte er mich: Gefällt
dir dieses Haus, jenes Bauwerk. Und wenn ich sagte: ja, dann fragte er mich:
wieso. So lehrte er mich das Sehen.'' Nach dem Abitur am Dillmann-Realgymnasium
studiert Leonhardt in Stuttgart an der Technischen Hochschule Bauingenieur.
1931 erwirbt er sein Diplom, geht als Austauschstudent in die USA.
Zurück in Deutschland beginnt Leonhardt am 8.Januar 1934
seine Arbeit bei der Obersten Bauleitung der Reichsautobahnen.
¸¸Meine Entscheidung heimzukehren'', schreibt er in seiner
Autobiographie ¸¸Baumeister in einer umwälzenden Zeit'',
¸¸sehe ich rückblickend als richtig an. Nur wenige ahnten
damals, in welche Katastrophe Hitlers Politik führen würde.''
Gemeinsam mit Paul Bonatz baut er Autobahnbrücken, darunter 1938 in
Rodenkirchen bei Köln die damals größte Hängebrücke
Europas.
Als die Brücke 1945 bei Fliegerangriffen der Alliierten
zerstört wird, empfindet Leonhardt ¸¸großen Schmerz''.
Neues, so bemerkt er später mit überraschender Distanz, entsteht erst
mit der Zerstörung des Alten.
Am 6.Februar 1956 wird in Stuttgart jenes Bauwerk eingeweiht, das
zu Leonhardts eigenem Denkmal werden soll: der Fernsehturm. Ursprünglich
hatte der Süddeutsche Rundfunk nur einen Gittersendemasten auf dem Hohen
Bopser bauen wollen. Leonhardt protestierte - und entwarf zusammen mit dem
Statiker Erwin Heinle nie Dagewesenes: eine schlanke Spannbetonnadel mit einem
mehrstöckigen Korb in 150 Metern Höhe und einer Antenne, die 217
Meter über den Boden emporragte. Neu war auch das Innenleben: Café,
Restaurant und oben Aussichtsplattformen. ¸¸Im Versuch
enthüllt sich die Wahrheit'', begründete Leonhardt seinen Drang,
stets Neues entwickeln zu wollen. Dabei war der Turm zunächst ein
schlechtes Geschäft: ¸¸Ich habe 5000 Mark Honorar bekommen,
das deckte die Kosten nicht einmal annähernd.''
Die Menschen, die alsbald in Massen auf den Turm drängten,
haben ihn mehr als entschädigt. Bis zuletzt sprach Leonhardt von
¸¸meinem Turm''. Wortgewaltig verteidigte er ihn gegen den
Zeitgeist. ¸¸Demokratisch'' sollte der Turm bleiben.
Fluch des Erfolges: Der Stuttgarter Turm, Vorbild für
Fernsehturmbauten in aller Welt, verstellte den Blick auf die weiteren
Leistungen. Mehrere Dutzend Brücken hat Leonhardt noch gebaut, den Ruhm
des Stuttgarter Bauwerks erreichte kein Entwurf mehr. Internationale
Anerkennung errang Leonhardt, der sich ¸¸immer mehr dem
Schönen als dem Nützlichen verbunden'' fühlte, indes auf anderem
Gebiet: als Mittler zwischen Ingenieurkunst und Baukunst.
In seinem Haus im Schwarzwald hat er zur Ruhe gefunden.
¸¸Hoch droben über dem Kinzigtal- das macht mir Freude.''
Der Baumeister Fritz Leonhardt ist tot. Er starb am 30.
Dezember.
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