|
Erinnerung an einen eigenwilligen BesucherFritz Leonhardt
ist im Fernsehturm stets präsent
Eigentlich ist alles wie immer. Der Kartenverkäufer sitzt
hinter einer Plexiglasscheibe, reißt die Billetts von der
Fahrscheinrolle. Anschließend sortiert er die Geldmünzen in seiner
Kasse. Ein paar Schritte weiter ein leises Zischen: Die Türen des Aufzugs
schieben sich zur Seite. Menschen begegnen sich.
VON MICHAEL DEUFEL
Was die Ankömmlinge eben genossen haben, steht den Wartenden
noch bevor: der imposante Blick über Stuttgarts Dächer. Es liegt wohl
am wolkenverhangenen Himmel über Degerloch, dass Melancholie den
Fernsehturm umgibt, und doch passt die Stimmung zu diesem Tag.
¸¸Ich hab's heute in den Nachrichten' gelesen'', erzählt ein
Besucher. Andere wiederum sagen, sie hätten die Nachricht im Radio
gehört - die Nachricht vom Tod Fritz Leonhardts.
Der Erbauer des Stuttgarter Wahrzeichens ist tot, gestorben am
30.Dezember 1999 im Alter von 90 Jahren. Vom Fernsehturmpersonal hat bis zum
Mittwoch keiner von der traurigen Neuigkeit gewusst. Die Belegschaft wechselte
in den vergangenen Jahren fast vollständig, deswegen sind die wenigsten
Fritz Leonhardt persönlich begegnet. Präsent freilich ist Leonhardt
in den Räumen dieser Nadel aus Stahlbeton trotzdem, auch wenn er in den
vergangenen Jahren den Turm nur noch selten besucht hat. ¸¸Es
erstaunt mich immer wieder, wie bekannt Professor Leonhardt ist'', sagt Henry
Brouwer. Ab und zu hilft er seiner Frau, die seit September unweit der
Aufzüge den Kiosk betreibt. ¸¸Die Leute fragen oft nach ihm
oder erzählen, dass sie ihn kennen.''
Im Betriebsraum hat Aufzugführer Jürgen Seppelt gerade
Pause und nippt an einer Tasse Kaffee. Nein, viel erzählen könne er
nicht. Während seiner gut drei Jahre am Fernsehturm habe er den
berühmten Bauingenieur nur einmal getroffen. Und doch: ¸¸Ein
bisschen geschluckt habe ich schon, als ich die Nachricht gehört habe'',
sagt Seppelt.
Eduard Blahas Erinnerungen an den früheren Rektor der
Universität Stuttgart sind da um einiges intensiver. Zwischen 1962 und
1997 gehörte Blaha zum Personal des Fernsehturms, erst als
Betriebstechniker, später als Betriebsleiter. ¸¸Als ich hier
anfing, war das Bauwesen für mich ziemliches Neuland. Von Professor
Leonhardt habe ich sehr viel gelernt.'' Eigenwillig sei er manchmal gewesen,
erinnert sich Blaha. ¸¸Er konnte auch ziemlich heftig werden, wenn
es sein musste.'' Etwa bei der Sanierung im Jahr 1995. Damals hatte er zuletzt
mit Fritz Leonhardt zu tun. Das Denkmalamt wollte auf einen neuen Anstrich
verzichten. Leonhardts Hartnäckigkeit war es zu verdanken, dass der Turm
doch überpinselt wurde, ¸¸sonst wären die Narben sichtbar
geblieben''. Er habe Fritz Leonhardt als sehr angenehmen Menschen kennen
gelernt, der eben ¸¸seine Überzeugung nach außen
vertreten hat, auch wenn es anderen nicht genehm war''. Und er hat immer
gewusst, ¸¸was im Fernsehturm läuft'', sagt Eduard Blaha.
¸¸Kein Loch durfte man bohren, ohne dass man vorher bei ihm oder in
seinem Büro nachfragte.''
Nicht jeder Trend fand Leonhardts Zustimmung, weder im Beruf noch
im Alltag. Als Bungee-Jumping in Mode kam, wollten sich einige Waghalsige von
der Plattform des Fernsehturms aus in die Tiefe stürzen.
Café-Betriebsleiter Stefan Pfefferle hat damals in luftiger Höhe im
Restaurant gearbeitet. Er erinnert sich: ¸¸Professor Leonhardt hat
diesen Sport strikt abgelehnt. Daraufhin ist das Ganze gestoppt worden.'' Vier
oder fünf Jahre ist das jetzt her. Damals ist Stefan Pfefferle dem Erbauer
zum letzten Mal begegnet: ¸¸Er kam etwa einmal im Vierteljahr.''
Viel Aufhebens gab es bei Fritz Leonhardts Besuchen nie. Pfefferle:
¸¸Er war einfach ein zu normaler Gast.''
Unweit der großen Plexiglasscheibe zischt wieder die
Aufzugstür. Voll ist die enge Kabine an diesem trüben Werktag nicht.
Ein Vater mit seinen zwei Kindern und zwei ältere Frauen hasten zum
Ausgang. Wäre Fritz Leonhardt unter ihnen, sie würden ihn kaum
bemerken. So wäre es dem Erbauer des Stuttgarter Fernsehturms wohl auch am
liebsten gewesen.
|