Stuttgarter
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STUTTGART 7.1.2000



Erinnerung an einen eigenwilligen Besucher

Fritz Leonhardt ist im Fernsehturm stets präsent

Eigentlich ist alles wie immer. Der Kartenverkäufer sitzt hinter einer Plexiglasscheibe, reißt die Billetts von der Fahrscheinrolle. Anschließend sortiert er die Geldmünzen in seiner Kasse. Ein paar Schritte weiter ein leises Zischen: Die Türen des Aufzugs schieben sich zur Seite. Menschen begegnen sich.

VON MICHAEL DEUFEL

Was die Ankömmlinge eben genossen haben, steht den Wartenden noch bevor: der imposante Blick über Stuttgarts Dächer. Es liegt wohl am wolkenverhangenen Himmel über Degerloch, dass Melancholie den Fernsehturm umgibt, und doch passt die Stimmung zu diesem Tag. ¸¸Ich hab's heute in den Nachrichten' gelesen'', erzählt ein Besucher. Andere wiederum sagen, sie hätten die Nachricht im Radio gehört - die Nachricht vom Tod Fritz Leonhardts.

Der Erbauer des Stuttgarter Wahrzeichens ist tot, gestorben am 30.Dezember 1999 im Alter von 90 Jahren. Vom Fernsehturmpersonal hat bis zum Mittwoch keiner von der traurigen Neuigkeit gewusst. Die Belegschaft wechselte in den vergangenen Jahren fast vollständig, deswegen sind die wenigsten Fritz Leonhardt persönlich begegnet. Präsent freilich ist Leonhardt in den Räumen dieser Nadel aus Stahlbeton trotzdem, auch wenn er in den vergangenen Jahren den Turm nur noch selten besucht hat. ¸¸Es erstaunt mich immer wieder, wie bekannt Professor Leonhardt ist'', sagt Henry Brouwer. Ab und zu hilft er seiner Frau, die seit September unweit der Aufzüge den Kiosk betreibt. ¸¸Die Leute fragen oft nach ihm oder erzählen, dass sie ihn kennen.''

Im Betriebsraum hat Aufzugführer Jürgen Seppelt gerade Pause und nippt an einer Tasse Kaffee. Nein, viel erzählen könne er nicht. Während seiner gut drei Jahre am Fernsehturm habe er den berühmten Bauingenieur nur einmal getroffen. Und doch: ¸¸Ein bisschen geschluckt habe ich schon, als ich die Nachricht gehört habe'', sagt Seppelt.

Eduard Blahas Erinnerungen an den früheren Rektor der Universität Stuttgart sind da um einiges intensiver. Zwischen 1962 und 1997 gehörte Blaha zum Personal des Fernsehturms, erst als Betriebstechniker, später als Betriebsleiter. ¸¸Als ich hier anfing, war das Bauwesen für mich ziemliches Neuland. Von Professor Leonhardt habe ich sehr viel gelernt.'' Eigenwillig sei er manchmal gewesen, erinnert sich Blaha. ¸¸Er konnte auch ziemlich heftig werden, wenn es sein musste.'' Etwa bei der Sanierung im Jahr 1995. Damals hatte er zuletzt mit Fritz Leonhardt zu tun. Das Denkmalamt wollte auf einen neuen Anstrich verzichten. Leonhardts Hartnäckigkeit war es zu verdanken, dass der Turm doch überpinselt wurde, ¸¸sonst wären die Narben sichtbar geblieben''. Er habe Fritz Leonhardt als sehr angenehmen Menschen kennen gelernt, der eben ¸¸seine Überzeugung nach außen vertreten hat, auch wenn es anderen nicht genehm war''. Und er hat immer gewusst, ¸¸was im Fernsehturm läuft'', sagt Eduard Blaha. ¸¸Kein Loch durfte man bohren, ohne dass man vorher bei ihm oder in seinem Büro nachfragte.''

Nicht jeder Trend fand Leonhardts Zustimmung, weder im Beruf noch im Alltag. Als Bungee-Jumping in Mode kam, wollten sich einige Waghalsige von der Plattform des Fernsehturms aus in die Tiefe stürzen. Café-Betriebsleiter Stefan Pfefferle hat damals in luftiger Höhe im Restaurant gearbeitet. Er erinnert sich: ¸¸Professor Leonhardt hat diesen Sport strikt abgelehnt. Daraufhin ist das Ganze gestoppt worden.'' Vier oder fünf Jahre ist das jetzt her. Damals ist Stefan Pfefferle dem Erbauer zum letzten Mal begegnet: ¸¸Er kam etwa einmal im Vierteljahr.'' Viel Aufhebens gab es bei Fritz Leonhardts Besuchen nie. Pfefferle: ¸¸Er war einfach ein zu normaler Gast.''

Unweit der großen Plexiglasscheibe zischt wieder die Aufzugstür. Voll ist die enge Kabine an diesem trüben Werktag nicht. Ein Vater mit seinen zwei Kindern und zwei ältere Frauen hasten zum Ausgang. Wäre Fritz Leonhardt unter ihnen, sie würden ihn kaum bemerken. So wäre es dem Erbauer des Stuttgarter Fernsehturms wohl auch am liebsten gewesen.

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