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REGION STUTTGART 13.01.2000



Schicksal der Weberei hängt am seidenen Faden. Ein Komplex aus der Gründerzeit mit Seltenheitswert

Kompromiss auf dem Otto-Areal: Ein Teil des Industriedenkmals darf jetzt abgerissen werden

Wendlingen - Nach jahrelangem Hin und Her half nur noch ein Kompromiss: Ein Teil der historisch überaus bedeutenden und denkmalgeschützten Fabrikgebäude auf dem Otto-Areal darf abgerissen werden, ein anderer Teil genießt Bestandsschutz.

VON ANNETTE MOHL

Der Präsident des Landesdenkmalamts, Professor Dieter Planck, machte sich am gestrigen Mittwoch persönlich auf den Weg nach Wendlingen. Schließlich wurde dort über ¸¸ein hochkarätiges Ensemble, wie es nur wenige im Land gibt'' entschieden. Es stammt von zwei der bedeutendsten Industriearchitekten um die Jahrhundertwende: Tafel und seinem Schüler Manz. ¸¸Die Qualität des Gesamtkulturdenkmals ist unbestritten'', versicherte Planck.

Dem geschäftsführenden Gesellschafter der Firma HOS (Heinrich Otto und Söhne) ist der Wert des Denkmals aus der Gründerzeit sehr wohl bewusst. Und doch stellte sein Unternehmen beim Landratsamt Antrag auf Abbruch. Das neun Hektar große Gelände sei mit der jetzigen Bebauung praktisch nicht zu vermarkten. Ein großes Möbelhaus habe mehrfach Interesse bekundet und abgewiesen werden müssen. Und selbst auf Debitel hätte man sich bei der hohen Standortgunst des Duos Wendlingen/Köngen Hoffnungen machen können, wenn das Gelände frei wäre, meint Knauer.

Das Landratsamt allerdings, über konkrete Pläne von dem Unternehmen nicht unterrichtet, sah keinen Anlass, dem Abbruch zuzustimmen. Ablehnende Bescheide kamen insbesondere für das Herzstück, die Spinnerei, aber auch für die Weberei, das Kessel- und Turbinenhaus, das Bergmann-Turbinenhaus und das alte Portierhaus. Die Firma entschloss sich daraufhin, das Regierungspräsidium um Schlichtung zu bitten.

Das ist nun gelungen. Gestern unterzeichneten Regierungspräsident Udo Andriof, Landrat Hans Peter Braun und die Firmen-Gesellschafter einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem die Zukunft für jedes einzelne Gebäude geregelt ist. Einzig das Schicksal der Weberei hängt noch am seidenen Faden: Sollte für sie bis August kein Nutzer gefunden werden, ¸¸müssen wir auf dieses Denkmal verzichten'' ( Braun). Der Landrat hat aber alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dies zu verhindern: ¸¸Wir nutzen auch alle Möglichkeiten, die uns die Region bietet.''

Ob und wie das einst bedeutendste Textilunternehmen des mittleren Neckarraums das Gelände künftig selbst nutzen will, ist noch offen. Inzwischen befindet sich am Neckarufer nur noch die Verwaltung für die produzierenden Betriebe in Offenburg/Baden und Wangen/Allgäu mit 400 Beschäftigten. Udo Andriof hofft durch den Vertrag auf eine ¸¸hochwertige, sinnvolle Nutzung auf lange Zeit''. Zumindest biete er dem Unternehmen eine sichere Planungsgrundlage.Vor über 100 Jahren wurde das Industrieensemble beim Wendlinger Bahnhof gebaut. Weil der gesamte Gründerzeit-Komplex als Denkmal anerkannt war, wurden potenzielle Investoren abgeschreckt. Jetzt genießt nur noch ein Teil Bestandsschutz.

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