Tanz der flotten Amseln im alten PferdestallNeue Nutzung
für europaweit fast einmaliges Denkmal - Dreistöckiger Backsteinbau
wird saniert
Esslingen - Die Stadt ist mit über 1000 Denkmalen
verwöhnt. Und doch stoßen selbst Kenner noch auf
Überraschungen: Der 1900 erbaute Pferdestall, der am Rande der Weststadt
ein Hinterhofdasein führt, ist eine Rarität von europaweiter
Bedeutung.
VON ANNETTE MOHL
Pferdeställe waren um die Jahrhundertwende nichts Besonderes,
wohl aber dreistöckige. Lediglich drei davon soll es in Europa geben -
einen davon in Esslingen. Gebietskonservator Klaus Könner vom
Landesdenkmalamt will sich auf eine Zahl zwar nicht festlegen
(¸¸das weiß niemand so genau''), spricht aber von einem
¸¸allerhöchst seltenen Denkmaltyp''.
Der Backsteinbau, heute eingepfercht zwischen dem Parkhaus Bahnhof
und dem Dick, wurde von dem bahnamtlichen Spediteur August Blocher erbaut, um
dort seine Huftiere einzustellen. Um Platz zu sparen, baute er eine ums Eck
führende Holzrampe in den ersten Stock - und hatte damit die
Kapazität für 32 Pferdeboxen. Ganz oben richtete er Haferkammer und
Heuboden ein.
1908 übernahm der königlich württembergische
Hofspediteur Kuno Bart das Anwesen. Als in den 50er Jahren der Lkw die
Pferdestärke ablöste, mussten die Boxen im Erdgeschoss den neuen
Vehikeln weichen. Kuno Barts gleichnamiger Enkel fand in der Esslingerin Karin
Pflüger jetzt eine private Investorin, die das geschichtsträchtige
Gemäuer aus purem Idealismus erhalten will. Die 44-jährige
Architektin hat ihre Fantasie spielen lassen und ist um Ideen für eine
Nutzung nach der Sanierung nicht verlegen: Das Unter- und Erdgeschoss will sie
komplett den Karnevalsfreunden überlassen: ¸¸Für viele
Menschen ist der Verein wie eine zweite Familie'', spricht sie nach dem Tod
ihres Mannes aus eigener Erfahrung. In den Pferdeboxen kann sie sich
Künstlerateliers vorstellen - Anfragen liegen ihr bereits vor. Dabei
sollen jeweils zwei Boxen für einen Arbeitsplatz zusammengefasst werden.
Ganz oben, wo sich in den letzten Jahren hordenweise Tauben eingenistet haben,
will Karin Pflüger Raum für zwei weitere Vereine schaffen.
Wegen der optimalen Belichtung durch neue Dachfenster hält
Klaus Könner zwar das oberste Stockwerk als besonders geeignet für
Ateliers. Doch wie dem auch sei: ¸¸Diese Sanierung ist absolut
erstklassig, Charakter und Substanz werden weitestgehend gewahrt.''
Unverwechselbare Elemente wie die Rampe, die Pferdeboxen und die einmalige
Treppe ins Hafersilo bleiben bestehen. 900.000 Mark, die Karin Pflüger
allein in den Umbau investiert, fließen vor allem in Haustechnik und
Fassadenreinigung.
Für die Investorin ist das Projekt ein Traum, für die
flotten Amseln, bei denen sie im Verein der Karnevalsfreunde selbst aktiv ist,
ein Glücksfall. Und für das Denkmalamt ¸¸eine der
allerbesten und interessantesten Umnutzungen im ganzen Land''.
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