Stuttgarter Zeitung Stuttgart 4.2.2000



Bernhard Hirche ist leitender Architekt der Stiftskirchenrenovierung

Sehnsucht nach der Bauhütte

ZUR PERSON

¸¸Richtig schwach ist nur die Decke gewesen.'' Bernhard Hirches Urteil fällt milder aus als man es von einem Architekten erwarten würde. Der Hamburger, der die Renovierung der Stiftskirche leitet, gesteht seine Zuneigung auf Raten. ¸¸Die Achtung vor den Teilen ist im Lauf der Zeit gewachsen'', sagt der 53-Jährige. Heute schätzt er die vielen Unstimmigkeiten am Kirchenbau, der die gotische Anlage und den modernen Wiederaufbau zusammenspannt.

¸¸Das war eine progressive Haltung nach dem Krieg'', meint er. Man habe nicht einfach so getan, als ob nichts gewesen wäre. Der Bau erzähle von der Zerstörung. Und das solle so bleiben. ¸¸Wir machen nicht alles aus den 50ern kaputt, wir fügen nur eine Zeitschicht hinzu.'' Das ist Hirche wichtig. Er weiß, dass er eine große Verantwortung trägt. Für die Stuttgarter sei die Stiftskirche ein extrem starker Identifikationsort, habe er gelernt. ¸¸Wir zerstören Erinnerungen.'' Auch die Gemeinde müsse die neue Kirche erst wieder in Besitz nehmen.

Hirches gefaltete Decke mit den Stahlträgern und Glasspiegeln hat, als der Wettbewerbssieger feststand, heftige Diskussionen ausgelöst. Die einen Kritiker wollten die flache Tonne der 50er Jahre behalten, die anderen das mittelalterliche Gewölbe rekonstruieren. Hirche, der seit 1991 auch Professor für Entwurf und Baukonstruktion an der Uni Hamburg ist, will sich auf den Streit um die Denkmalpflege nicht einlassen. ¸¸Unser Ziel ist eine neue Akustik'', entgegnet er und begründet seinen Entwurf mit der Liturgie. Nach dem Krieg habe man eine Predigtkirche gebaut, die auf das Wort ausgerichtet war. Mittlerweile werde auch von der evangelischen Kirche der Musik wieder ein höherer Stellenwert beigemessen. Seine Aufgabe sei es, dass sich akustischer und optischer Klang bedingen.

Drei Elemente prägen Hirches Entwurf: die neue Decke, die neue Position des Altars in der ideellen Mitte der Kirche und die neue Orgel. Sie wird aus der Orgelstube hinaus vor die Innenwand der Südseite wandern. Entsprechend soll anstelle der Horizontalen stärker die Vertikale betont werden - die Achse vom Kreuz zur Orgel. Liturgie, Musik und Architektur sollen zum Gesamtkunstwerk verschmelzen. Ein wichtiges Element ist für Hirche dabei auch die Diagonale von der Kanzel zur Empore: ¸¸Das ist eine unglaubliche Spannung. Wunderschön'', schwärmt er.

Alle zwei Wochen verlässt er sein Hamburger Büro und kommt für einen Tag nach Stuttgart zur Baustellenbesichtigung und zu Arbeitsgesprächen. Bis zur Fertigstellung in gut einem Jahr will er das so halten. Am liebsten wäre er noch häufiger hier. ¸¸Ich fühle mich fast ein wenig abgeschnitten'', meint der Architekt, der vor allem Kirchen, aber auch Banken, Industriegebäude und Stahlträger plant.

Mit den am Bau Beteiligten klappe die Zusammenarbeit sehr gut, lobt Hirche. Wer Kirchen baue, meint er, spüre immer ¸¸eine Sehnsucht nach der alten Bauhütte'' in sich. Wobei diese Zeiten vorbei seien. Die ¸¸Durchlässigkeit'' zwischen Planern und Ausführenden bestehe schon lange nicht mehr, bedauert er. Die Denkweisen von Architekten und Handwerkern seien heute völlig andere.

Dennoch bestehe ein ¸¸gemeinsames Wollen'' - das Ideelle sei dem Geld übergeordnet. ¸¸Deshalb baue ich Kirchen'', sagt der Protestant, der sich nicht als besonders gläubig bezeichnet. Ein Kirchenbau verlange auch kein gläubiges Benehmen, wohl aber eine Ernsthaftigkeit und ein Ringen um Qualität. ¸¸Jeder gibt sein Bestmögliches. Und in diesem Sinne bin ich sehr religiös.''

Von Daniela Mack

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