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Bernhard
Hirche ist leitender Architekt der Stiftskirchenrenovierung
Sehnsucht nach der Bauhütte ZUR PERSON
¸¸Richtig schwach ist nur die Decke gewesen.''
Bernhard Hirches Urteil fällt milder aus als man es von einem Architekten
erwarten würde. Der Hamburger, der die Renovierung der Stiftskirche
leitet, gesteht seine Zuneigung auf Raten. ¸¸Die Achtung vor den
Teilen ist im Lauf der Zeit gewachsen'', sagt der 53-Jährige. Heute
schätzt er die vielen Unstimmigkeiten am Kirchenbau, der die gotische
Anlage und den modernen Wiederaufbau zusammenspannt.
¸¸Das war eine progressive Haltung nach dem Krieg'',
meint er. Man habe nicht einfach so getan, als ob nichts gewesen wäre. Der
Bau erzähle von der Zerstörung. Und das solle so bleiben.
¸¸Wir machen nicht alles aus den 50ern kaputt, wir fügen nur
eine Zeitschicht hinzu.'' Das ist Hirche wichtig. Er weiß, dass er eine
große Verantwortung trägt. Für die Stuttgarter sei die
Stiftskirche ein extrem starker Identifikationsort, habe er gelernt.
¸¸Wir zerstören Erinnerungen.'' Auch die Gemeinde müsse
die neue Kirche erst wieder in Besitz nehmen.
Hirches gefaltete Decke mit den Stahlträgern und
Glasspiegeln hat, als der Wettbewerbssieger feststand, heftige Diskussionen
ausgelöst. Die einen Kritiker wollten die flache Tonne der 50er Jahre
behalten, die anderen das mittelalterliche Gewölbe rekonstruieren. Hirche,
der seit 1991 auch Professor für Entwurf und Baukonstruktion an der Uni
Hamburg ist, will sich auf den Streit um die Denkmalpflege nicht einlassen.
¸¸Unser Ziel ist eine neue Akustik'', entgegnet er und
begründet seinen Entwurf mit der Liturgie. Nach dem Krieg habe man eine
Predigtkirche gebaut, die auf das Wort ausgerichtet war. Mittlerweile werde
auch von der evangelischen Kirche der Musik wieder ein höherer Stellenwert
beigemessen. Seine Aufgabe sei es, dass sich akustischer und optischer Klang
bedingen.
Drei Elemente prägen Hirches Entwurf: die neue Decke, die
neue Position des Altars in der ideellen Mitte der Kirche und die neue Orgel.
Sie wird aus der Orgelstube hinaus vor die Innenwand der Südseite wandern.
Entsprechend soll anstelle der Horizontalen stärker die Vertikale betont
werden - die Achse vom Kreuz zur Orgel. Liturgie, Musik und Architektur sollen
zum Gesamtkunstwerk verschmelzen. Ein wichtiges Element ist für Hirche
dabei auch die Diagonale von der Kanzel zur Empore: ¸¸Das ist eine
unglaubliche Spannung. Wunderschön'', schwärmt er.
Alle zwei Wochen verlässt er sein Hamburger Büro und
kommt für einen Tag nach Stuttgart zur Baustellenbesichtigung und zu
Arbeitsgesprächen. Bis zur Fertigstellung in gut einem Jahr will er das so
halten. Am liebsten wäre er noch häufiger hier. ¸¸Ich
fühle mich fast ein wenig abgeschnitten'', meint der Architekt, der vor
allem Kirchen, aber auch Banken, Industriegebäude und Stahlträger
plant.
Mit den am Bau Beteiligten klappe die Zusammenarbeit sehr gut,
lobt Hirche. Wer Kirchen baue, meint er, spüre immer ¸¸eine
Sehnsucht nach der alten Bauhütte'' in sich. Wobei diese Zeiten vorbei
seien. Die ¸¸Durchlässigkeit'' zwischen Planern und
Ausführenden bestehe schon lange nicht mehr, bedauert er. Die Denkweisen
von Architekten und Handwerkern seien heute völlig andere.
Dennoch bestehe ein ¸¸gemeinsames Wollen'' - das
Ideelle sei dem Geld übergeordnet. ¸¸Deshalb baue ich
Kirchen'', sagt der Protestant, der sich nicht als besonders gläubig
bezeichnet. Ein Kirchenbau verlange auch kein gläubiges Benehmen, wohl
aber eine Ernsthaftigkeit und ein Ringen um Qualität. ¸¸Jeder
gibt sein Bestmögliches. Und in diesem Sinne bin ich sehr
religiös.''
Von Daniela Mack
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