Artikel aus den
Stuttgarter Nachrichten
vom 16.8.2001



Die Reichenau leistet der Akropolis Gesellschaft

Insel im Bodensee nun offiziell Weltkulturerbe - Bewohner sind stolz und erwarten noch mehr Touristen

Reichenau - Mariä Himmelfahrt und politischer Festakt im Klosterhof haben am Mittwoch den Rahmen gebildet für die offizielle Aufnahme der 430 Hektar großen Bodenseeinsel Reichenau in die Welterbe-Liste der Unesco und für die Übergabe der Anerkennungsurkunde. Neben dem Kloster Maulbronn ist das Eiland mit seinen Kirchenbauten nun das zweite Welterbe in Baden-Württemberg und das 24. in Deutschland.

VON GERHARD HERR

Der Freiburger Erzbischof Oskar Saier, Ministerpräsident Erwin Teufel, Kultusministerin Annette Schavan und andere geistliche und weltliche Würdenträger des Landes trafen sich mit 150 geladenen Gästen sowie gut 500 Zaungästen im fahnengeschmückten Klosterhof. Es war eine Szene fast wie im frühen Mittelalter, als das 724 vom Wanderbischof Pirmin und seinen 40 Benediktinermönchen gegründete Kloster die Blütezeit erlebte - politisch, wissenschaftlich und künstlerisch. Denn unter den Karolingern stieg die Reichenau rasch in die erste Reihe der Königsklöster im Frankenreich auf und wurde für drei Jahrhunderte ein geistiges und kulturelles Zentrum Europas.

Von der religiösen Bedeutung zeugen noch heute die zahlreichen Reliquien, wie die Heilig-Blut-Reliquie und der Krug der Hochzeit von Kanaa, die im Mittelalter auf die "Reiche Au'' gebracht wurden. Dort entstand auch der berühmte St. Galler Klosterplan, der benediktinische Idealplan einer Gottesstadt auf Erden - ein weiteres Welterbe. Die Reichenauer Äbte Waldo und Heito übernahmen für Karl den Großen politische Missionen. Walahfrid Strabo, der 849 gestorbene Abt und Schriftsteller, lebte als Erzieher Karls des Kahlen lange am Kaiserhof in Aachen. Er schrieb aber auch den "Hortulus'', das erste Botaniklehrbuch Deutschlands. Sein Kräutergärtlein hinterm Kloster wird nach wie vor gehegt und gepflegt.

Ministerpräsident Erwin Teufel sagte am Mittwoch, dass Walahfrid Strabo in idealer Weise die Blütezeit der Reichenau verkörpere: In ihm vereinten sich Glaube, Kultur und die Liebe zur Natur. Ein Dreiklang, der seit 1277 Jahren die Reichenau als Ganzes präge und so zu einem "wahren Gesamtkunstwerk'' gemacht habe. Der Glanz der damaligen Tage spiegelt sich in den Überbleibseln mittelalterlicher Klosterarchitektur Zentraleuropas, dem Münster St. Maria und Markus und in den beiden Kirchen St. Peter und Paul sowie St. Georg, mit einzigartigen ottonischen Wandmalereien aus dem zehnten Jahrhundert wider. Die Reichenauer Buchmalereien in den Prunkhandschriften sind allerdings auf der ganzen Welt verstreut. Nur drei von einst über 20 Gotteshäusern prägen die viereinhalb Kilometer lange und eineinhalb Kilometer breite Insel.

Für die modernen und traditionsbewussten 3500 Insulaner ist das Erbe, die Klosterinsel samt ihrem von Strabo begründeten Gemüseanbau, sowie die Aufnahme in die Liste der 690 Welterbe-Stätten Ehre und Verpflichtung zugleich. Das wurde beim feierlichen Hochamt und der Prozession zu Ehren der Münsterpatronin vorbei an den Kirchen und Gewächshäusern deutlich. Begleitet wurden sie von 125 in rot-gelb-weißen vorderösterreichischen Uniformen steckenden Männern der Bürgerwehr und von Trachtenfrauen. Man sah es ihnen an, dass sie stolz sind, nun mit den Kaiserdomen in Aachen, Köln und Speyer, der Berliner Museumsinsel, der Akropolis in Athen, dem Tadsch Mahal und der Chinesischen Mauer auf einer Liste zu stehen. Sie wissen aber auch, dass "Einzigartigkeit und historische Echtheit'' zu den Kritierien gehören, die von der Unesco Ende November 2000 angelegt wurden, als die Reichenau zum Welterbe erklärt wurde. "Für die Klosterinsel bedeutet dies, dass sie nicht mehr nur den Deutschen, nicht mehr nur den Europäern, sondern allen Menschen gemeinsam gehört'', sagte der Präsident der Deutschen Unesco-Kommission, Professor Klaus Hüfner, bevor er die Urkunde an Erwin Teufel und Bürgermeister Volker Steffens überreichte. Die Deutschen indes verpflichten sich, die 24 Welterbestätten mit Denkmalpflege so zu erhalten, dass diese künftigen Generationen zugänglich seien.

Auch das haben die Insulaner mit lachendem und weinendem Auge vernommen. Denn außer der Zusage der Unterstützung für die Erhaltung der Kulturdenkmäler haben weder Teufel noch Hüfner monetäre Geschenke überreicht. Das Eiland zählt jährlich 200.000 Übernachtungen und gut 300.000 Tagesgäste. Vor allem Letztere nehmen derzeit genauso gewaltig zu wie die Anfragen im neu eröffneten Welterbe-Informationszentrum. Die Radwege sind für den Ansturm sichtlich zu schmal, die Straßen vor allem an Sonntagen zugeparkt. "Wenn noch mehr Touristen kommen als jetzt, müssen wir über eine Regelung nachdenken'', sagt ein Insulaner am Rande des Festaktes. Denn Ehre hin oder her, überrollt werden wolle man gewiss nicht.


weiteres: www.reichenau.de
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