Steinzeittüftler am Werk
Die Räder vom Federsee gehören zu den ältesten
der Welt
In Oberschwaben hat man das Rad noch mal erfunden. Zu diesem
Schluss kommt Helmut Schlichtherle vom Landesdenkmalamt in Hemmenhofen am
Bodensee. Und er kann dies auch belegen.
Von Dieter Kapff
Wenn man von einem Menschen sagt, er wolle das Rad noch einmal
erfinden, hält man ihn für einen, der viel Mühe auf
Unnötiges verwendet, doppelte Arbeit macht. Das ist hier aber ganz anders,
einmal ganz wörtlich genommen. Das Rad ist eine der einfachsten, aber
wichtigsten menschlichen Erfindungen und aus unserem Leben nicht mehr
wegzudenken. Mit der Erfindung des Rades, das den Bau von Wagen erlaubte, wurde
der Transport von Lasten mit erheblicher Kraftersparnis und größerem
Tempo möglich.
Das Rad ist wohl vor 5400 Jahren im sumerischen Uruk im
Zweistromland erfunden worden. Es war kein Speichen-, sondern ein
Vollscheibenrad. Erhalten hat sich aus Mesopotamien aus dieser Zeit jedoch kein
einziges Exemplar. Doch gibt es die Abbildung eines Rades als Schriftzeichen,
was die Existenz der Sache selbst voraussetzt. Ein tönernes Wagenmodell
aus etwa der gleichen Zeit ist aus Kleinasien und aus dem Kaukasus bekannt.
Dreht man das Rad der Geschichte wieder ein Stück
zurück, bis ums Jahr 3000 vor Christus, so ist damals bei Seekirch und bei
Alleshausen am Federsee in einer jungsteinzeitlichen Siedlung ein Wagen
verunglückt. Das zu Bruch gegangene Scheibenrad - es war aus zwei oder
drei miteinander verdübelten Brettern gefertigt - hat man einfach neben
dem Weg liegen lassen. Es gehört zu den ältesten erhaltenen
Rädern der Welt. Nur aus der Nordschweiz gibt es noch Vergleichbares. Die
Experten rechnen mit noch um etwa 300 Jahre älteren Exemplaren, die in
einer Horgener Siedlung bei Bad Buchau entdeckt werden könnten.
Bei der näheren Untersuchung des sensationellen Fundes aus
dem Ried ist dem Archäologen Schlichtherle aufgefallen, dass die
Konstruktion von jenem Rad aus Uruk und solchen, die in Nordeuropa und im
Donauraum gefunden wurden, entscheidend abweicht. Die Räder vom Federsee
haben im Zentrum kein rundes, sondern ein viereckiges Loch. Und das kann nur
bedeuten, dass sich nicht die Scheibenräder auf der Achsnabe gedreht
haben, wie heute bei einem Leiterwagen, sondern Rad und Achse starr miteinander
verbunden waren und die ganze Achse sich gedreht hat - wie die Räder der
Eisenbahn oder eines Schubkarrens.
Das ist von der technischen Idee her eine völlig andere,
eigenständige Erfindung. Solche Räder und Karren gibt es nur im
Alpenvorland, sie müssen hier zu Lande erfunden worden sein.
Steinzeittüftler waren da im Schwäbischen am Werk.
Die Feuchtbodensiedlungen (meist Pfahlbauten genannt) am Bodensee
und in Oberschwaben haben den Archäologen aber noch weitere Innovationen
offenbart. Bereits nach 3000 vor Christus haben die Siedler eingesehen, dass
der eine etwas besser kann als der Nachbar. Sie haben ihre Arbeit aufgeteilt
und damit auch rationeller erledigt. Die Spezialisierung der wirtschaftlichen
Tätigkeiten und die Produktionssteigerung hatte begonnen.
So können Archäologen an der ungewöhnlichen
Häufung bestimmter Funde erkennen, in welchem Haus ein Tuchmacher, in
welchem ein Juwelier, in welchem ein Rinderzüchter oder ein Werkzeugmacher
lebte. Der Steinzeit-Juwelier hat zum Beispiel hunderte von dünnen
Kalksteinröhrchen hinterlassen, die auf Schnüre aufgezogen
mehrreihige Halsketten ergeben haben. Die kleinen Kalksteinwalzen waren zuvor
mit ganz feinen Feuersteinspitzen der Länge nach durchbohrt worden -
Präzisionsarbeit in der Steinzeit.
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