Mulsum für die Kehle, Rauch für die Götter
Bei einem römischen Fest hat die Oberensinger Villa
rustica ihre Weihe bekommen
NÜRTINGEN. Ein Baggerfahrer soll die ersten Mauerreste eines
römischen Gutshofs in Oberensingen (Kreis Esslingen) gefunden haben.
Danach hatten 13Jahre lang ehren- und hauptamtliche Archäologen in der
Villa rustica das Sagen. Gestern wurde sie wieder eingeweiht.
Von Katja Schmidt
Nach dem Baggerfahrer kam Erwin Beck. Nachts im Regen mit einer
Taschenlampe kroch der ehrenamtliche Beauftragte des Landesdenkmalamts durch
die Kanalgräben, die für die Erschließung des Neubaugebiets In
den Seelen angelegt worden waren. Vermutlich ahnte er damals noch nicht, wie
sehr ihn dieser Mauerfund in den kommenden 13 Jahren beschäftigen
würde. Unterstützung bekam er von Mitgliedern des Schwäbischen
Heimatbunds in Nürtingen, die sich bald zur Archäologischen Gruppe
Nürtingen, kurz Arg'nta, zusammenschlossen. Mit Hilfe des
Landesdenkmalamts und der Stadt gruben sie aus, restaurierten und
dokumentierten all das, was heute wieder zu sehen ist.
Wer das Gut gebaut hat, ist nicht mehr festzustellen. Den Funden
nach muss es aber ein wohlhabender Römer gewesen sein, der durchaus Sinn
für Landschaft hatte. Von dem Gelände aus schweift der Blick weit ins
Land. Vielleicht war es die schöne Aussicht, die den Bauherrn
übersehen ließ, dass der steile Nordosthang nicht unbedingt ein
guter Bauplatz ist. Wasserführende Mergelschichten brachten die Mauern ins
Rutschen, was der Besucher noch heute an den gekippten Wänden sehen
kann.
Knapp zwei Jahrtausende später konnte der Mergel die Leute
wieder nicht davon abhalten, ihre Bleibe an eben jenem Hang aufzuschlagen. Und
so liegt das, was von dem römischen Gutshof noch übrig ist, mitten in
einem Neubaugebiet. "Eigentlich müsste man sagen, dass die neuen
Häuser in der Gutsanlage liegen'', präzisiert Beck. Denn etwa
viereinhalb Hektar maß der gesamte Hof. Damit gehört er zu den
größten in Baden-Württemberg. Was heute noch zu sehen ist, sind
aber "nur'' die Reste des Hauptgebäudes.
Und das ist auch nicht gerade zu verachten. Schließlich
umfassen die knie- bis schulterhohen Mauern eine Fläche von 50 auf 32
Meter. Neben dem Wohnhaus gibt es Reste einer Badeanlage mit Warm-, Lau- und
Kaltbad. Im Erdreich fanden sich unter anderem Bronzeringe und ein
Dreifußaufsatz, der die Göttin Alexandria darstellt. Das lässt
vermuten, dass der Hausherr gute Beziehungen in den Mittelmeerraum hatte. Die
Funde sind nun im Nürtinger Stadtmuseum ausgestellt.
Mit einem Römerfest ist gestern die Villa rustica wieder
eingeweiht worden. Weihrauchschwangere Brandopfer sollten die Götter
gnädig stimmen, und Mulsum (Honigwein) und Eselsbiesel (Holundersaft)
erfrischten ausgedörrte Kehlen. Die Arg'nta-Mitglieder hatten ihre Tuniken
aus dem Schrank geholt und römischen Bohneneintopf sowie gefüllte
Datteln und Feigen aufgetischt.
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