Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 25.6.2001
Südwestdeutsche Zeitung



Mulsum für die Kehle, Rauch für die Götter

Bei einem römischen Fest hat die Oberensinger Villa rustica ihre Weihe bekommen

NÜRTINGEN. Ein Baggerfahrer soll die ersten Mauerreste eines römischen Gutshofs in Oberensingen (Kreis Esslingen) gefunden haben. Danach hatten 13Jahre lang ehren- und hauptamtliche Archäologen in der Villa rustica das Sagen. Gestern wurde sie wieder eingeweiht.

Von Katja Schmidt

Nach dem Baggerfahrer kam Erwin Beck. Nachts im Regen mit einer Taschenlampe kroch der ehrenamtliche Beauftragte des Landesdenkmalamts durch die Kanalgräben, die für die Erschließung des Neubaugebiets In den Seelen angelegt worden waren. Vermutlich ahnte er damals noch nicht, wie sehr ihn dieser Mauerfund in den kommenden 13 Jahren beschäftigen würde. Unterstützung bekam er von Mitgliedern des Schwäbischen Heimatbunds in Nürtingen, die sich bald zur Archäologischen Gruppe Nürtingen, kurz Arg'nta, zusammenschlossen. Mit Hilfe des Landesdenkmalamts und der Stadt gruben sie aus, restaurierten und dokumentierten all das, was heute wieder zu sehen ist.

Wer das Gut gebaut hat, ist nicht mehr festzustellen. Den Funden nach muss es aber ein wohlhabender Römer gewesen sein, der durchaus Sinn für Landschaft hatte. Von dem Gelände aus schweift der Blick weit ins Land. Vielleicht war es die schöne Aussicht, die den Bauherrn übersehen ließ, dass der steile Nordosthang nicht unbedingt ein guter Bauplatz ist. Wasserführende Mergelschichten brachten die Mauern ins Rutschen, was der Besucher noch heute an den gekippten Wänden sehen kann.

Knapp zwei Jahrtausende später konnte der Mergel die Leute wieder nicht davon abhalten, ihre Bleibe an eben jenem Hang aufzuschlagen. Und so liegt das, was von dem römischen Gutshof noch übrig ist, mitten in einem Neubaugebiet. "Eigentlich müsste man sagen, dass die neuen Häuser in der Gutsanlage liegen'', präzisiert Beck. Denn etwa viereinhalb Hektar maß der gesamte Hof. Damit gehört er zu den größten in Baden-Württemberg. Was heute noch zu sehen ist, sind aber "nur'' die Reste des Hauptgebäudes.

Und das ist auch nicht gerade zu verachten. Schließlich umfassen die knie- bis schulterhohen Mauern eine Fläche von 50 auf 32 Meter. Neben dem Wohnhaus gibt es Reste einer Badeanlage mit Warm-, Lau- und Kaltbad. Im Erdreich fanden sich unter anderem Bronzeringe und ein Dreifußaufsatz, der die Göttin Alexandria darstellt. Das lässt vermuten, dass der Hausherr gute Beziehungen in den Mittelmeerraum hatte. Die Funde sind nun im Nürtinger Stadtmuseum ausgestellt.

Mit einem Römerfest ist gestern die Villa rustica wieder eingeweiht worden. Weihrauchschwangere Brandopfer sollten die Götter gnädig stimmen, und Mulsum (Honigwein) und Eselsbiesel (Holundersaft) erfrischten ausgedörrte Kehlen. Die Arg'nta-Mitglieder hatten ihre Tuniken aus dem Schrank geholt und römischen Bohneneintopf sowie gefüllte Datteln und Feigen aufgetischt.

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