Stadt gibt trotz Denkmalschutz Abbruchgenehmigung
Eine knapp hundert Jahre alte Villa steht vor dem Abriss -
Heftige Kritik im Gemeinderat an behördeninternen
Versäumnissen
SINDELFINGEN. Im Gemeinderat ist die Empörung groß:
Durch Zufall ist bekannt geworden, dass die Stadt im Frühjahr die
Abbruchgenehmigung für eine unter Denkmalschutz stehende Villa erteilt
hat. Korrigieren lässt sich die Entscheidung nicht mehr.
Von Joachim Männich
Es geht um das Gebäude Bahnhofstraße 38. Der Architekt
Georg Bürkle hatte das Haus in einem ländlichen Baustil mit
Sandsteinsockel, Ziegelverblendungen und Fachwerk im Jahr 1904 für den
Teppichfabrikanten Adolf Dinkelacker gebaut. In Sindelfingen gehört die
Villa Dinkelacker zu den sehr wenigen noch erhaltenen typischen Bauten aus der
Zeit um die Jahrhundertwende, die sich in einem ordentlichen Zustand befinden.
Das war wohl auch der Grund, warum das Landesdenkmalamt das Gebäude in die
Liste der Kulturdenkmale aufgenommen hat.
Ausgerechnet eine aus Wuppertal stammende Wahl-Sindelfingerin war
es, die in der Einwohnerfragestunde des Gemeinderats ihre Verwunderung
darüber äußerte, warum die Stadt zwar die aus dem Mittelalter
stammenden Fachwerkhäuser in der Altstadt schütze, es aber zulasse,
dass ein ebenso identitätsstiftendes historisches Gebäude aus einer
anderen Epoche dem Erdboden gleichgemacht wird. In die gleiche Kerbe hieben
auch die Stadträtinnen Juliane von Bülow (CDU), Ingrid Balzer (FWS)
und Sabina Hunger (Grüne). Alle drei reagierten mit Unverständnis und
Empörung auf die Entscheidung der Verwaltung und prangerten ein
"Kommunikationsdefizit'' an. Künftig solle die Bauverwaltung den
Technischen Ausschuss über beabsichtigte Abrissgenehmigungen von dieser
Tragweite rechtzeitig informieren.
Kritik übt der Gemeinderat auch daran, dass im vorliegenden
Fall nicht nur die gegenseitige Information zwischen Stadt und Landesdenkmalamt
zu wünschen übrig ließ. Es gab offenbar auch hausinterne Pannen
bei der Absprache zwischen den einzelnen Abteilungen der Bauverwaltung. "Wie
kann denn ein Bebauungsplan für das Gelände der Villa Dinkelacker
gemacht werden, der eine Neubebauung vorsieht, wo die Stadt doch selbst Untere
Denkmalbehörde ist'', wundert sich Sabina Hunger.
Baubürgermeister Johannes Mescher versucht zu erklären,
wie es zu dem Dilemma kam. In den Jahren 1985 bis 1990 ist ein Bebauungsplan
für das Gelände zwischen Hanns-Martin-Schleyer-Straße,
Bahnhofstraße und Altinger Straße aufgestellt worden. Er sieht eine
bis zu viergeschossige Neubebauung des Villengrundstücks vor. Die Untere
Denkmalbehörde im Rathaus sah tatenlos zu, weil die Villa Dinkelacker vom
Landesdenkmalamt erst im Dezember 1991 in die Liste der Kulturdenkmale
aufgenommen wurde.
"Man hätte den Bebauungsplan damals ganz anders gestalten
müssen'', sagt Bürgermeister Mescher heute. Doch auch das
Landesdenkmalamt war der Stadt bei der Bebauungsplanaufstellung nicht in den
Arm gefallen: Es hatte im Anhörungsverfahren keine Stellungnahme
abgegeben. Wegen der alten Versäumnisse kann die Gesellschaft, die die
Hotelruine samt dem Villengrundstück erworben hat, jetzt auf ihren
Rechtsanspruch pochen, so bauen zu dürfen, wie es der Bebauungsplan
ausweist. Johannes Mescher: "Nachträglich ist da nichts mehr zu machen.''
Selbst das Landesdenkmalamt akzeptiert nach langem Zögern den
Villenabbruch. Die Erhaltung des Gebäudes, so die Begründung, sei der
Investorengruppe aus wirtschaftlichen Gründen nicht zuzumuten.
|