|
Geschichte im Alltag
Eine Bestandsaufnahme zum Tag des Denkmals
Zum neunten Mal ist am kommenden Sonntag in ganz Deutschland der
"Tag des offenen Denkmals''. Und aller Voraussicht nach wird diese Aktion der
Deutschen Stiftung Denkmalschutz auch in ihrer neunten Runde wieder ein
großer Erfolg. Zu tausenden strömen die Menschen aus diesem Anlass
mit Kind und Kegel los, um in allerbester Ausflugsstimmung Schlösser, alte
Kirchen oder ausgediente Fabrikanlagen in direkten, staunenden Augenschein zu
nehmen.
Interessanterweise sind dabei die Hauptanziehungspunkte
traditionell gar nicht jene Pracht- und Repräsentativbauten, die ohnehin
jederzeit, zumindest sechs Tage die Woche lang, besichtigt werden können,
sondern es sind die versteckten Orte, die kleineren, unbekannteren,
unscheinbareren Plätze; jene Gebäude, die sonst der
Öffentlichkeit verschlossen sind und nun aus Anlass des Aktionstages
für wenige Stunden freien Zutritt gewähren. Legionen von Neugierigen
sind am Tag des offenen Denkmals auf der Suche gerade nach dem Besonderen, dem
Ausgefallenen. Und sie werden fündig, dank des Engagements zahlloser
Denkmalschützer, solcher von der haupt- und noch mehr von der
ehrenamtlichen Sorte. Wenigstens einmal im Jahr könnte man also auf die
Idee kommen, mit dem Denkmalschutz in Deutschland sei alles paletti.
Eigentümer und Experten präsentieren ihre Schätze, die
Bürger zollen den Künsten vergangener Generationen ihren Respekt, die
Politiker steuern jede Menge warmer Worte bei. Ein solches Bild trügt aber
fürchterlich. Dem Denkmalschutz in Deutschland geht es nämlich
keineswegs gut, sondern zusehends schlechter.
Die einschlägigen Gesetze und Verordnungen zum Schutz
wertvoller Bauten werden allerorten gelockert; "gestrafft'' und "verschlankt''
heißt das im Dynamisch-Deutsch der Regierenden jedweder Couleur. Die
zuständigen Behörden und Denkmalpfleger werden geschwächt, ihre
Kompetenzen beschnitten; die staatlichen Zuschüsse gekürzt. Und warum
gehen all diese Verschlechterungen in der Regel sang- und klanglos über
die politische Bühne? Weil trotz durchschnittlich 3,5 Millionen
Teilnehmern am Tag des offenen Denkmals der praktische Denkmalschutz im Alltag
nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung genießt und fast gar
keine Lobby hinter sich weiß.
Zwar hat sich inzwischen auf allen politischen Ebenen
herumgesprochen, dass schöne alte Gebäude den Menschen in der Regel
besser gefallen als hässliche neue. Aber gerade dieser unkritische Trend
zum Schönen und Alten führt an manchen Orten zu bizarren Ergebnissen
- und hat mit Denkmalschutz wenig zu tun. Nein, wir wollen jetzt einmal gar
nicht auf den geplanten Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zu sprechen
kommen. Berlin bietet ja noch viel mehr, was unsere These belegen hilft: die
Bauakademie des preußischen Meisterarchitekten Karl Friedrich Schinkel
beispielsweise, die nur einen Steinwurf weiter westlich mit enormem Aufwand
wieder aufgebaut werden soll, wenn es nach dem Willen entsprechender Vereine
und diese unterstützender Politiker geht. Die DDR-Führung hatte den
kriegszerstörten Bau 1962 schleifen lassen, um an seiner Stelle ihr
Außenministerium errichten zu können. Dieses Außenministerium
ist längst wieder abgetragen, und exakt hier soll nun die alte
Schinkelfassade auferstehen. Wohlgemerkt: wahrscheinlich nur die Fassade! Denn
dahinter muss heutzutage Platz sein für Büros, Läden und Lofts,
die teuer zu vermieten sind, weil sich das Ganze ja sonst gar nicht rechnen
würde.
Nun könnte man für ein solches Großprojekt ja
durchaus Sympathien entwickeln - wenn nicht weit von alledem, in der
Invalidenstraße, ein Bauzeugnis des besagten Meisterarchitekten Karl
Friedrich Schinkel noch leibhaftig stehen, aber schon seit Jahren vor sich
hingammeln würde. Die klassizistische Elisabethkirche, ebenfalls stark
kriegszerstört, ist nur notdürftig gegen Wind und Wetter
geschützt; ihre einstige Schönheit ist unter all dem Schmutz und
Modder nur noch geschulten Augen deutlich. Die Denkmalschutz-Stiftung sammelt
zwar gerade Spenden zwecks Erhalt des Gebäudes. Aber vermutlich wird man
irgendwann das Ganze schon aus Sicherheitsgründen abreißen
müssen. Eines der Hauptwerke Schinkels ist dann nur noch in alten
Bildbänden zu bestaunen. Dies aber dann ja vielleicht bei einem
schönen Espresso im schicken, postmodernen Kunstbuchladen, der sich in der
wiedererrichteten Fassadenakademie eingerichtet hat.
Denkmalschutz ist ein mühsames Geschäft. Wertvolle,
beispielhafte Gebäude früherer Zeiten zu erhalten, um die historisch
gewachsene Struktur unserer Städte, Dörfer und Landschaften als
Kulturgut zu bewahren und an kommende Generationen vererben zu können -
ein solcher Denkmalschutz darf sich nicht auf Einkaufspassagen und
Ausflugsziele beschränken. Es geht dabei nicht um Fassaden, es geht um
Substanz; es geht nicht um Showeffekte, es geht um Präsenz von Geschichte.
Das Bewusstsein für solch einen alltäglichen Denkmalschutz muss hier
zu Lande offensichtlich noch kräftig wachsen, unter den Wählern
ebenso wie unter den Gewählten. Der alljährliche Tag des offenen
Denkmals ist dafür ein schöner Aufhänger. Doch das Schicksal
wertvoller Bauten entscheidet sich erst an den 364 Tagen danach.
www.denkmalschutz.de
Von Tim Schleider
|