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Der keltische Tuchherr von HochdorfMeisterliche Stoffe im Fürstengrab untersucht - Vor 2500 Jahren feine Tuche aus dem NeckarlandEBERDINGEN. Das Grab des späthallstattzeitlichen Keltenfürsten von Hochdorf (Kreis Ludwigsburg) birgt, wie die Auswertung nun ergeben hat, den reichsten Textilfund der Zeit und dokumentiert den hohen Stand der prähistorischen Webkunst. Von Dieter Kapff Als Archäologen vor gut 20 Jahren in Eberdingen-Hochdorf das unberaubte, rund 2500 Jahre alte Grab eines Späthallstattfürsten ausgegraben haben, sind sie mit großer Vorsicht und Umsicht zu Werke gegangen. Die Ausgrabung geschah mit modernsten Methoden und unter Mitwirkung von Restauratoren des Württembergischen Landesmuseums. Das hat sich gelohnt. Denn rasch war klar, daß hier einmalige Funde in Hülle und Fülle zu Tage traten - ganz wörtlich genommen. Der tote Fürst und seine Grabbeigaben waren eingehüllt in viele, zum Teil kostbar verzierte Textilien. Wände und Fußboden der Grabkammer waren mit Tüchern ausgeschlagen. Nicht weniger als 25 verschiedene Gewebe konnten die Fachleute unterscheiden und in meist nur noch quadratzentimetergroßen Stücken retten. Die Bergung war mühevoll und manchmal dramatisch: So war über dem 500-Liter-Bronzekessel ein Tuch ausgebreitet gewesen, das ein Windhauch in Luft auflöste, noch ehe es geborgen werden konnte. Gefunden wurden auch Fragmente von mindestens 15 Schnüren, bis hin zur Hutkordel. Die Schnüre, wie ein Gürtel um den Leib gebunden, dienten offenbar zum Schließen des Gewandes, wo dies nicht durch broschenartige Fibeln geschah. Denn Johanna Banck-Burgess, die sich nach dem Tod von Professor Hans-Jürgen Hundt in einem Buch ausführlich den Textilfunden von Hochdorf gewidmet hatte, hat kein Indiz dafür finden können, daß die Kleidung damals maßgeschneidert oder auch nur körpergerecht in Form gewebt wurde. Die Kunst des Webens ist eine der grundlegenden Erfindungen der Menschheit. Gerade in nördlichen Breiten sind Kleider, Tücher und Decken als Kälteschutz unentbehrlich. Bei den Textilien von Hochdorf handelt es sich meist um Zwirn- und nicht um Garngewebe. Als Material ist Hanfbast, Leinen und Schafwolle, aber auch die feine Grundwolle des Dachsfells verwendet worden. Meisterlich ist die Webtechnik. Die Webdichte, die von der Fadenstärke abhängt, erreicht erstaunliche Werte. Während heute Handgewobenes kaum mehr als 20 Fäden je Zentimeter aufweist - feine Tischwäsche hat 14 -, schafften es die keltischen Weber, 40, in einem Fall sogar mehr als 80 Fäden unterzubringen. Zum Vergleich: die berühmten feinen italienischen Tuche haben 30 Doppelfäden pro Zentimeter - diese Tuche aber sind allesamt maschinengewoben. Aus dem Fürstengrab stammen aber auch mittelfeine und grobe Gewebe. Der Musterreichtum der Hochdorfer Gewebe hat die Fachleute ebenso überrascht. Dabei werden die Verzierungen, sieht man einmal vom Färben ab, nicht durch das Besticken fertiger Tuche, sondern durch Mitverweben farbiger Fäden oder allein durch die Bindungsart oder durch die Drehung der Fäden beim Weben erzielt. Karos und Streifen, rautenförmige Gitter, Zickzacklinien, Mäander und Hakenkreuze - geometrische Motive, die in der jahrtausendealten mitteleuropäischen Tradition stehen, tauchen auf. Gefärbt wurde mit rotem Farbstoff, der von der Schildlaus gewonnen wurde, die nur am Mittelmeer vorkommt, mit blauem Indigo, vermutlich vom Färberwaid, und mit Tannin, was gelbe bis braune Töne ergab. Borten oder Anfangs- und Seitenkanten der Gewebe sind in so genannter Brettchenweberei hergestellt. Dabei werden zwei, vier oder mehr Kettfäden an den Ecken eines Holzbrettchens durchgeführt. Durch das Drehen des Brettchens wird mal dieser, mal jener Faden nach vorne gebracht und so ein Muster gewoben. Die späthallstattzeitlichen Weber haben dabei bis zu 40 Brettchen, in einem Fall sogar 66 gleichzeitig verwendet. Für die Webanleitung, welches Brettchen wann in welche Richtung gedreht werden muß, würde man heute Computerprogramme benötigen. Der Brettchenweberei-Fund von Hochdorf ist der umfang- und variantenreichste, der bekannt ist. Fast alle aus dem Fürstengrab geborgenen Gewebereste sind heimischer Produktion, auch wenn sie noch so unterschiedlich sind. Zahl und Qualität lassen auf ein sehr hoch stehendes Handwerk schließen. Und der Fürst selbst, dem man neben dem Kopf eine Art Musterkollektion aus mindestens sieben in Leinwandbindung gewobenen Tüchern ins Grab gelegt hatte, von denen keines dem anderen gleicht, muss eine besondere Beziehung zur Tuchmacherkunst gehabt haben. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß sein Reichtum und seine Macht auf der Fertigkeit seiner Untertanen fußte. Zu seiner Zeit ist erstmals "Markenware'' hergestellt, ist Textilproduktion und -handel zentral organisiert worden. Der Tuchherr von Hochdorf muß auch am Mittelmeer einen guten Ruf gehabt haben. Aus etwas späterer Zeit sind Nachrichten bekannt, die die keltischen Tuche ob ihrer Feinheit, Qualität und Farbenfreudigkeit rühmen. Johanna Banck-Burgess: Hochdorf IV.
Die Textilfunde aus dem späthallstattzeitlichen Fürstengrab von
Eberdingen-Hochdorf. Herausgegeben vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, 1999. 294 Seiten, 128
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