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der Stuttgarter Zeitung vom 20.10.2003 zur Übersicht |
Der Hochdorfer Keltenfürst erhält ein BäsleExperten erforschen Verwandtschaftsverhältnisse mit 2500 Jahre alten genetischen Fingerabdrücken EBERDINGEN. Archäologen haben dem Keltenfürsten von Hochdorf und anderen Landesherrn auf den Zahn gefühlt. Die Experten wollen herausfinden, in welchem Verhältnis die Herrschaften von vor 2500 Jahren zueinander standen. Von Dieter Kapff Hightech in der Archäologie ist schon lange nichts Ungewöhnliches mehr. Was die Polizei bei der Verbrecherjagd mit dem elektronischen Fingerabdruck anstrebt, erproben nun auch die Vorgeschichtswissenschaftler. In einem Pilotversuch sind im Göttinger Institut für Zoologie und Anthropologie Zähne und Knochenreste von elf frühkeltischen Individuen aus Baden-Württemberg untersucht worden. Es geht darum, mit Hilfe der DNS, der Desoxyribonukleinsäure, Erbinformationen zu gewinnen und so zu klären, ob die Fürsten miteinander verwandt gewesen sind. Hintergrund ist die in der Forschung aktuell erörterte Frage, wie die Herrschaftsstrukturen im Land zur Späthallstattzeit ausgesehen haben. Waren es lauter einzelne Clanchefs, Häuptlinge, die über ein kleines Teilgebiet oder eine ausgedehnte Sippe herrschten? Oder gehörten sie alle einer verwandtschaftlich verbundenen Adelsschicht an, die überall das Sagen hatte? Hat es damals ein aristokratisches Netzwerk gegeben, gar eine Erbaristokratie? Die Untersuchungsergebnisse sind spannend und bestätigen vorerst bisher nur geahnte Zusammenhänge. Sie halten aber auch Überraschungen bereit. Der Keltenfürst von Hochdorf im Kreis Ludwigsburg ist tatsächlich mit mindestens einem, vielleicht gar mehreren Toten aus den Großgrabhügeln der Späthallstattzeit verwandt gewesen. Untersuchungsobjekt sind Skelettteile aus den Fürstengrabhügeln von Eberdingen-Hochdorf, dem Römerhügel in Ludwigsburg, dem Kleinaspergle, dem Grafenbühl (beide Asperg), von Ditzingen-Schöckingen (alle Kreis Ludwigsburg), von Hundersingen an der Donau und vom Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen gewesen. Dem Hochdorfer ist ein Backenzahn gezogen, anderen ein Knöchelchen entnommen worden. Ein Gramm unverfälschter Substanz ist dann pulverisiert, aufgelöst, die DNS extrahiert und mit dem so genannten PCR-Verfahren vervielfacht worden. Im ultravioletten Licht leuchten dann die Bruchstücke der Gene auf. Sie können nun miteinander verglichen werden. Bei der Untersuchung haben die Gene aus dem Zellkern zu schlechte Ergebnisse geliefert. Doch in den Mitochondrien des Zellkörpers gibt es ebenfalls genetische Informationen. So sind die Göttinger Forscher auf die mitochondriale DNS ausgewichen. Das bedeutet, dass die direkte männliche Abfolge über das nur bei Männern vorkommende Y-Chromosom und weitere Gene nicht erkennbar ist, wohl aber die Verwandtschaft in mütterlicher Linie. So haben die Göttinger Forscher mit der molekulargenetischen Analyse festgestellt, dass bei dem Fürsten aus dem Hochdorfer Zentralgrab und bei dem Toten im Zentralgrab vom Grafenbühl bei Asperg die genetischen Informationen identisch sind. Das heißt, beide sind in mütterlicher Linie offensichtlich miteinander verwandt. Die Beziehung lässt sich dabei über zwei Generationen hinweg verfolgen, denn der 40-jährige Hochdorfer starb um 550 vor Christus. Der Tote aus dem Grafenbühl ist 50 Jahre später beerdigt worden. Der Grafenbühler könnte deshalb wohl der Schwestersohn des Hochdorfers gewesen sein. Nicht so enge Beziehungen ergeben sich bei drei weiteren Toten. Es sind dies eine Nachbestattung aus Hochdorf, ein Toter aus dem Römerhügel bei Ludwigsburg und eine 25-jährige Frau aus Schöckingen. In diesen drei Fällen sind erst zwei der drei Abschnitte der mitochondrialen DNS untersucht worden. So ist es durchaus möglich, dass die Tote von Schöckingen "dem Keltenfürsten sei Bäsle" war, wie es der Baron von Schöckingen vor Besuchern anschaulich formuliert. Das könnte bedeuten, dass die Schöckingerin eine Tochter der Schwester der Mutter des Hochdorfers war. Und damit gewinnt die These an Gewicht, dass die Keltenfürsten der Region einer miteinander verwandten Adelsschicht entstammen. Die drei aus Schöckingen, dem Römerhügel und aus Hochdorf bilden eine Gruppe, die sich von den übrigen untersuchten Toten unterscheidet. Die Übereinstimmungen bei den DNS-Spuren mit dem Hochdorfer Fürsten und dem Grafenbühl-Toten sind jedoch relativ ungenau. Eine gesicherte Aussage kann sich deshalb nur darauf beziehen, dass es eine Ähnlichkeit innerhalb einer nicht sehr zahlreichen Gesamtbevölkerung gibt. Eine verwandtschaftliche Beziehung ist aber durchaus denkbar. Überraschend war das Ergebnis, dass eine Frau und ein Kind, die im Grafenbühl nachträglich bestattet worden waren, keinesfalls miteinander verwandt sind. Bisher hatte man sie ganz selbstverständlich als Mutter und Kind betrachtet. Nun kann man spekulieren, dass die Frau die Stiefmutter ist. 20.10.2003 - aktualisiert: 21.10.2003, 05:03 Uhr |
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