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Fassadenspiel mit dem Unfunktionalen Anmerkungen zu zwei
neueren Geschäftshäusern in der Stuttgarter Innenstadt
Geschäftshäuser in City-Lage gehören zur
Alltagsarchitektur. Wie bei der großen Masse des Bestands, so
reicht auch bei Neubauten das Spektrum von herausragenden
Einzelleistungen bis zu banaler Durchschnittlichkeit. In der Mitte,
bei qualitätvollen, ansehnlichen Bauwerken, die auch neben
Glanzlichtern bestehen können, ohne sie zu übertrumpfen - da
liegt das Manko. Aber nur mit solchen Bauten kann ein homogener
Stadtraum entstehen, denn ein architektonischer Meilenstein neben dem
anderen wäre unerträglich. Die Kunst liegt in der Einpassung
bei gleichzeitiger Individualität.
Das für die Projektentwicklungsgesellschaft Codic gebaute
Geschäftshaus Kronprinzstraße 11 füllt sich nach
seinem Verkauf an Investoren jetzt langsam mit Mietern, Pächtern
und Kunden. Der formal strenge Bau paßt sich ein und fällt
doch auf. Dieselben Architekten, HPP Hentrich- Petschnigg& Partner
Stuttgart, haben fast gleichzeitig den Neubau auf dem ehemaligen
Firnhaber-Areal geplant.
Als Eckhaus zur Gymnasiumstraße steht der Kubus des Hauses
Kronprinzstraße 11 neben der meisterhaften Rückseite des
Mittnachtbaus von 1926. Die Meßlatte lag also hoch. HPP haben
sie nicht übersprungen, aber erfolgreich angerissen. Die
transparente Glasfassade, eine Pfosten-Riegel-Konstruktion, arbeitet
ausschließlich mit der geometrischen Proportionierung des
Fensterrasters. Die klar konstruktiv trennenden Stahlprofile der
Fensterrahmen und Geschoßlinien erzeugen ein spannungsreiches
Wechselspiel von Horizontal- und Vertikalausrichtungen. An der
Kronprinzstraße bildet die Erschließungszone, bestehend
aus Aufzug, Flur und Treppenhaus, einen deutlichen Vertikalakzent über
dem Eingang. Schließlich stellt der knapp hervorragende
Turmbauteil zusammen mit den Terrassengeländern des zurückgesetzten
Dachgeschosses einen informellen Bezug zum Mittnachtbau her. Ein überzeugender
Entwurf, dem das Gefühl für Proportion und Maßstab
anzusehen ist, nicht zuletzt, weil auf plumpe Normfenster aus dem
Industrie-Repertoire verzichtet wurde.
Das zweite Gebäude von HPP in der Innenstadt ersetzt den
Firnhaberbau, der im Herbst 1992 durch einen Großbrand zerstört
wurde. Die Bestürzung über den Verlust dieses Bauwerks hielt
sich jedoch in Grenzen. Schließlich war das Stadtbild um ein
Musterbeispiel des Betonbrutalismus ärmer. Fünf Jahre danach
sind nun die letzten Arbeiten am Neubau abgeschlossen. Die Erwartungen
waren groß, war doch vor allem die historische Bebauung der
Calwer Straße von dem grobschlächtigen Monstrum permanent
beleidigt worden.
Nach wie vor bietet die Kronprinzstraße in ihrem südlichen
Abschnitt ein Bild des Jammers: Tiefgaragenrampe hier, unterirdisches
Parkhaus dort. Die Alte Poststraße führt als zerfaserter Fußweg
quer durch die Brache. Der Straßenraum blieb seit der
Kriegszerstörung unsinnig aufgeweitet. Man hätte sich gewünscht,
daß nach dem Abriß der Firnhaber-Ruine der Neubau an die
Straßenkante vorrückt und wieder eine verdichtete Urbanität
schafft - doch nichts ist geschehen. Der Neubau hält sich an die
alte Baulinie. Also ein langer Riegel, der sich an die Rückwände
der Calwer Straße anlehnt. Den Architekten blieb nichts anderes übrig,
als eine zu lange Fassade zu bespielen, ohne auflockernden Querriegel
oder Höhensprung, vorne glatt, oben glatt und seitlich: aalglatt
- doch darauf kommen wir noch. Das Konzept des Geschäftshauses an
der Kronprinzstraße konnte HPP hier nicht anwenden. Eine
einheitliche Glasfassade nur mit der Fensteraufteilung zu
proportionieren, wäre an der schieren Größe
gescheitert.
Also wie dann? Das Grundgerüst bietet hier wie dort die
Pfosten-Riegel-Fassade. Wie in der Nr. 11 mit Glas ausgefacht sind
zwei Ladengeschosse und zwei Treppenhäuser. Dabei ist die
Transparenz gar nicht immer erwünscht. Das im Frühjahr
eingezogene Möbelhaus hat die Glasflächen im ersten Stock
alle wieder zugeklebt. Es bleiben drei große Fassadenflächen
übrig, denen man weißverputzte Wandscheiben vorlegte mit
Fensterbändern auf drei Etagen. Diese klaren Flächen sind
begrüßenswert, denn sie erlösen uns von der ewigen
Steinverkleidung. Zur ironischen Auflockerung schieben sich die
Wandscheiben ein Stückchen vor die Verglasung, und die Jalousiekästen
ragen ebenso einseitig vor die Putzwand. Nett. Doch trotz der
ordentlichen Aufgliederung bleibt der Gesamteindruck für den
Stadtgänger von ermüdender Monumentalität.
Ganz anders ist das altstädtische, kleinteiligere Umfeld der
Calwer Straße. Das Neubauvolumen belegt hier vier der ursprünglichen
Parzellen und ist in zwei bis drei Abschnitte aufgefaßt, je nach
Lesart. Der erste, vom Rotebühlplatz aus gesehen, ist mustergültig:
ein eindeutiges Bekenntnis zeitgenössischer Gestaltung, wie eine
Synthese aus Neuer Sachlichkeit und DeStijl. Zwischen dem verglasten
Treppenhaus und ebensolchem Aufzugsschacht erstreckt sich die weiße
Putzwand diesmal bis zum Boden, also ohne ihre Vorhängung zu
demonstrieren. Davor wiederum hängt eine ziegelrote Wandscheibe
asymmetrisch in der Luft, und zwar so plastisch, daß
Fensterschlitze den Spalt zwischen beiden Flächen überbrücken.
Plane Putz- und Glasflächen treten in ein Spannungsverhältnis
mit linearen Brüstungsgittern vor den stehenden Fenstern. Da
dieser Bauteil Wohnungen birgt und Schlafzimmer verdunkelt werden müssen,
gibt es hier - jawohl, heute noch: Fensterläden! Sie steigern
vorteilhaft die Plastizität vor der Wandfläche. Durch
Untergliederung und Farbzitat paßt sich dieser Bauteil ohne
Anbiederung in die Umgebung ein.
Leider wurde dieses Gestaltungsvokabular nicht für die
weiteren Abschnitte übernommen. Großflächige
Schaufenster und Fensterbänder, welche die Büronutzung
mitteilen sollen, sprengen den Maßstab. Die Passage zur
Kronprinzstraße reißt ein überbreites Loch in den
Baukörper. Ihre abschüssige Rampe zur viel kleineren Öffnung
am anderen Ende wirkt wie ein Saugtrichter für den Kundenstrom.
Der Bauabschnitt fängt stark an und hört schwach auf.
Insgesamt erfolgte eine Verbesserung der Situation, doch manch
lobenswerter Ansatz wurde nicht konsequent weitergeführt.Marc
Hirschfell
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