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Kleindenkmale
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Vier Stunden in einer Stunde Waren das noch Zeiten, als die
Menschen mit ,,krummen'' Maßen maßen! Damals war noch der
Mensch das Maß aller Dinge: Ein Daumen oder ein Finger breit für
die kleinen Längen, (Hand-)Spann(e), Fuß, Schuh, Elle und
Klafter (Spanne zwischen den ausgebreiteten Armen) für die
mittleren. Große Längen oder Distanzen bemaß man nach
Schritten und Meilen (tausend Schritte, genau genommen Doppelschritte,
von lateinisch milia = tausend). Das war zwar nicht sehr präzise,
denn es gibt schließlich große und kleine Menschen, so daß
diese Maße größer oder kleiner ausfielen. Natürlich
gab es Festsetzungen, doch die fielen von Land zu Land unterschiedlich
aus. Die Abweichungen, die ,,Spannbreite'', nahm man als gottgegeben
hin.
Erst das Aufkommen der modernen Naturwissenschaften, die Exaktheit
verlangen, hat den jahrhundertelang benutzten Naturmaßen ein
Ende gesetzt. Mit der Einführung des Dezimalsystems und der
Bestimmung des Urmeters (dem 40milliontel Teil eines Erdmeridians) als
Grundeinheit aller metrischen Längenmaße ist im vergangenen
Jahrhundert ein in weiten Teilen der Welt einheitliches Maßsystem
geschaffen worden. Für Deutschland geschah dies im Gefolge der
Reichsgründung. Zum 1. Januar 1872, also vor 125 Jahren, wurden
die ,,krummen'', natürlichen Maße abgeschafft und die künstlichen,
metrischen Längenmaße eingeführt. Nur die Sprache
bewahrt in ihren bildhaften Ausdrücken noch die alten Zustände.
Seitdem sind die Entfernungsangaben in Meter oder Kilometer
angegeben und nicht mehr in Meilen. Der Meilenstein am Straßenrand
wurde zum Kilometerstein. Bei Möglingen im Kreis Ludwigsburg
findet man einen etwa anderthalb Meter hohen Stein, der eine
Entfernungsangabe weder in Meilen noch in Kilometern zeigt. Er steht
an der Straße von Ludwigsburg nach Schwieberdingen, wo früher
die Straße Markgröningen - Stammheim kreuzte, wie alte
Karten ausweisen. Nach Stuttgart-Stammheim, so liest man da, betrage
die Distanz eine Stunde. Eine Stunde Wegs zu Fuß? Eine Stunde
mit dem Pferd oder dem Fuhrwerk?
Auch wenn man es damals, als der Stein gesetzt wurde, 1823, nicht
gar so genau genommen haben sollte, macht das doch einen erheblichen
Unterschied. Denn ein Reiter ist natürlich viel schneller - der
legte etwa 20 Kilometer in der Stunde zurück - als ein Reisender
in der Kutsche oder ein Fußgänger.
Des Rätsels Lösung: Die ,,Stunde'' war keine Zeiteinheit,
sondern ein Längenmaß. Ein Reiter konnte leicht vier
,,Stunden'' in einer Stunde zurücklegen. Im alten Württemberg
gab es sogar zwei verschiedene ,,Stunden''. Stundensteine an gewöhnlichen
Straßen gaben die Entfernung in ,,Reisestunden'' an. Eine
Reisestunde war 1600 Ruten lang. Da eine württembergische Rute
zehn Fuß maß, also knapp 2,9 Meter, ist die Reisestunde
4,6 Kilometer lang. Auf Poststraßen, wo die Postkutschen
verkehrten, galt die ,,Poststunde'', und die war nur 3,7 Kilometer
lang. Die Post war schon damals etwas langsamer.
Der Möglinger Stundenstein gehört zu den rar gewordenen
Zeugen der Verkehrsgeschichte. Einst hatte es diese
Entfernungsanzeiger wohl zu hunderten gegeben, ähnlich wie die
Hinweistafeln heute. An Landstraßen, Chausseen, aber auch
Ortsverbindungswegen wiesen sie den Reisenden den Weg und verrieten
ihnen wie weit es noch war. Die meisten mußten der Straßenverbreiterung
weichen oder wurden, wie in der Nachkriegszeit die Alleebäume,
als potentielles Unfallrisiko beseitigt. dka
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