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Bauforscher
macht überraschende Entdeckung
Geislingen birgt ungeahnte Fachwerk-Schätze Vermutlich
schlummern 30 bis 40 mittelalterliche Gebäude unter Putz -
Stadtverwaltung möchte Dokumentation erarbeiten lassen
GEISLINGEN, Kreis Göppingen. Die Stadt Geislingen birgt
manches Kleinod mittelalterlicher Baukunst. Doch noch sind offenbar
nicht alle Schätze bekannt, geschweige denn gehoben. Der
Ettenheimer Bauforscher Burghard Lohrum vermutet, daß im Bereich
der Hauptstraße und ihrer Seitengassen mindestens weitere 30 bis
40 mittelalterliche Fachwerkhäuser unter Putz schlummern, als
bisher bekannt waren. Außerdem ist er ziemlich sicher, daß
manches Baudenkmal älter ist als angenommen. Obwohl im Stadtsäckel
gähnende Leere herrscht, will Oberbürgermeister Martin Bauch
von diesem Kapitel der Stadtgeschichte eine Dokumentation anfertigen
lassen. Diese Aufbereitung ist seiner Überzeugung nach wichtig für
den Umgang mit diesen historischen Gebäuden. Außerdem könne
er sich vorstellen, daß die Entdeckung alter Bausubstanz auch
vermarktet werden kann. Im Herbst hat der Gemeinderat das Wort.
,,Die Perlen sollte man kennen, bevor man saniert'', plädiert
auch der Bauforscher Lohrum für eine genaue Untersuchung. In der
Vergangenheit hätten viele Städte den Fehler gemacht, mit
viel Aufwand die falschen Gebäude zu sanieren. ,,Für die
wirklich wertvolle Bausubstanz war dann kein Geld mehr da.'' In
Geislingen empfehle sich eine dendrochronologische Analyse vor allem
aufgrund der vielen Gebäude. ,,Nur so läßt sich
feststellen, wo die wirklich interessanten Häuser sind.'' Die
Dendrochronologie ermöglicht die Altersbestimmung von Häusern
anhand des Bauholzes.
Seine Entdeckungen machte Lohrum eher per Zufall. Um einen Vortrag
bei einer Fachtagung der Holzrestauratoren in Geislingen
vorzubereiten, hatte er vor einem Jahr die Fünftälerstadt
unter die Lupe genommen - und gestaunt. Die Dachneigung und das Raummaß
vieler unscheinbar verputzter Häuser wiesen eindeutig auf das
Mittelalter zurück. Ein sicheres Indiz für mittelalterliche
Baukunst seien die vorspringenden Etagen. ,,Je größer die
Vorsprünge sind, desto älter ist das Gebäude.''
Er geht daher davon aus, daß die ehemalige Gaststätte
,,Pflug'' aus einem früheren Baujahr stammt als bisher
angenommen. ,,Es könnte zu den ältesten Häusern
Geislingens zählen.'' Bemerkenswert sei auch der Alte Zoll in der
Fußgängerzone. Er sei von der Substanz her so hochwertig
wie der Alte Bau, nur nicht so stattlich. Der hochaufragende Alte Bau
ist bekanntlich ohne Beispiel in ganz Baden-Württemberg.
Neue Erkenntnisse hat Lohrum auch über die Stadtkirche
gewonnen. Der Dachstuhl müßte nach im Jahr 1424/25
gezimmert worden sein. Dies sei erstaunlich, da mit dem Bau der Kirche
erst 1424 begonnen worden sei. Die Art der Konstruktion repräsentiere
einen Entwicklungsschritt auf Landesebene. Weitere Überraschungen
schließt Lohrum nicht aus.
Ob die Untersuchungen in eine neue Sanierungssatzung münden -
bekanntlich läuft zur Zeit noch ein Programm in der oberen Stadt
- ist zur Zeit noch offen. ,,Das hängt auch vom Land ab'', sagt
der Pressesprecher der Stadt, Herbert Fitterling. Lohrum würde
sich dagegen unbedingt wünschen, daß eine Untersuchung auch
Konsequenzen hat. In Zeiten knapper Kassen gebe es noch immer die Möglichkeit,
Liebhaber zu finden, die in solche Objekte investierten. Außerdem
zeigten die Städte Konstanz und Rottweil, daß auch ohne
finanzielle Klimmzüge so manches getan werden könne. rik
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