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Die fünfziger
Jahre als Attraktion am Tag des offenen Denkmals
Dynamische Nachkriegs-Architektur mit Verfallsdatum ,,Hier wäre
es mir zu dunkel.'' - ,,Jetzt haben die einen so großen Grundriß,
und dann ist die Küche so klein.'' Einige Besucher der Windstoßer-Villa
an der Neuen Weinsteige Nummer 80 schienen erleichtert darüber, daß
das Gebäude mit der schönen Hanglage deutliche Schwächen
aufweist. Kein Grund, neidisch zu sein, wo doch die Fenster in der
eigenen (Miet-)Wohnung größer, Küche und Wohnzimmer viel
geräumiger sind. Die leerstehende Villa gehörte zu den
Attraktionen einer von Stadtkonservator Wolfgang Mayer geführten
Bustour zur Architektur der fünfziger Jahre, Themenschwerpunkt am
Tag des offenen Denkmals in Stuttgart.
Seit einem Zeitungsbericht vor wenigen Wochen sei die Villa zu
einem Wallfahrtsort geworden, sagt Mayer. Entsprechend groß war
die Nachfrage nach den drei Busrundfahrten. Nicht für alle, die
sich angemeldet hatten, reichte der Platz. Außer der von Max Bächer
1957 bis 1959 erbauten Windstoßer-Villa standen die Waldsiedlung
Rohr, die Versuchssiedlung Rotweg und die Auferstehungskirche in Rot
auf dem Programm. Schon nach dem Ausflug zur Neuen Weinsteige waren
die Salvatorkirche in Giebel und das von Paul Stohrer 1960 erbaute
Haus Nummer 64 am Herdweg gestrichen worden - zwei Stunden reichten
nicht fürs geplante Pensum.
Auch die Aussicht vor der noch bis vor kurzem vom Sohn des
Bauherren bewohnten Windstoßer-Villa erfüllte nicht alle
Erwartungen der Besucher. Zu viele hochgeschossene Sträucher und
Bäume zerstückeln das Panorama, zudem ist ,,die
Nierentischarchitektur des Gartens'', den Hans Lutz konzipiert hat,
von wilden Sträuchern überwuchert. Daß das Gebäude
,,im internationalen Stil'' damals aus den Gegebenheiten der
Topographie und Aussicht heraus konzipiert wurde, wie Mayer erläuterte,
läßt sich derzeit nur erahnen. Auf die neue Eigentümerin
kommt ein gewaltiges Stück Arbeit zu, wenn sie den vom
Architekten vor 40 Jahren avisierten Idealzustand wiederherstellen möchte.
Bächer hatte sogar auf die einzigartige Aussicht auf die
Stadtmitte bei Nacht Rücksicht genommen. Ein wichtiger Akzent
dabei sei früher die Konturenbeleuchtung des Tagblatt-Turms
gewesen, sagte Mayer. Die Installationen dafür seien noch
vorhanden, aber die TWS - jetzt NWS - weigere sich aus Kostengründen,
die Leuchtröhren wieder in Betrieb zu nehmen. Nicht zu übersehen
ist allerdings auch im sanierungsbedürftigen Zustand, daß
die Villa Windstoßer mit ihren kühn über den Hang
getriebenen Horizontalen und ihrer Mischung aus Naturelementen und
Beton den Kanon gängiger Wiederaufbau-Architektur sprengt.
Außer den Denkmalen der neueren Geschichte standen gestern
mittelalterliche und antike Schätze offen. So hatten das
Lapidarium an der Mörikestraße und das Römische
Lapidarium im Neuen Schloß geöffnet, ebenso die Alte Schloßkirche
und die Königsgruft. Zumindest im Viertel rund um Altes und Neues
Schloß erschien die Stadt als Museumslandschaft, in der sich
Familien und Reisegruppen drängten.
Im Vorfeld hatte die Arbeitsgemeinschaft Stuttgarter Bürgervereine
(ABS) beklagt, daß sich in Stuttgart am Tag des offenen Denkmals
zuwenig tue. Nächstes Jahr sollten auch Gebäude wie das Mühlhausener
Schloß oder die Villa Reitzenstein geöffnet werden. Wenn
1998 weitere Innenstadtmuseen zugänglich gemacht werden, sollte
ferner über eine Parkhausöffnung nachgedacht werden. Schon
gestern vormittag waren alle Gehwege in der City zugestellt. Ludwig
Laibacher
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