StZ Kreis Ludwigsburg 16.09.1997



Ein 450 Jahre alter Koloß

3500 Pfund Heller für den Kirchturm

Mächtig und stolz thront der Turm der Bietigheimer Stadtkirche seit 450 Jahren über den Dächern von Bietigheim. Daß der steinerne Methusalem seine Existenz einem tragischen Unglück verdankt, daran erinnert heute nur noch eine kleine Tafel an dem Gotteshaus: Es muß an jenem frühen Morgen des 1. März 1542 ein ohrenbetäubendes Getöse gewesen sein, als der alte Bergfried der Bietigheimer Burg einstürzte. Schließlich überliefern die Geschichtsschreiber, daß der Lärm bis auf den Hohenasperg zu hören gewesen sei. Unter der Steinlawine wurden neun Menschen begraben und etliche Häuser in der unmittelbaren Nachbarschaft zerstört.

Zeitgenössische Bietigheimer Annalen und archäologische Untersuchungen des Landesdenkmalamts aus den Jahren 1984/85 verraten, daß der Bergfried im südwestlichen Teil der heutigen Kelter gestanden hat. Das Bauwerk, das eine Seitenlänge von 11,50 Meter und eine Mauerdicke von 3,50 Meter hatte, diente als Schutzraum im Verteidigungsfall und befand sich in unmittelbarer Nähe zum Gotteshaus.

Für den Bau der Stadtkirche über der alten Burgkapelle hatten die Bietigheimer Anfang des 15. Jahrhunderts wohl teilweise Steine aus den Ruinen der Ende des 13. Jahrhunderts zerstörten Burg verwendet. Einige Teile der Burg wurden vermutlich direkt in den Sakralbau integriert. Wie sich erst jetzt herausstellte, könnte die mit 1,60 Meter außergewöhnlich dicke Nordwand des Chors der Rest des Palas, also des eigentlichen Wohngebäudes der Burg, gewesen sein.

Den benachbarten Bergfried hatten die Bietigheimer kurzerhand in einen Glocken- und Landwachtturm umfunktioniert. Sie zimmerten einen Fachwerkaufbau zusammen, in dem eine Wohnung für den Hochwächter und der Glockenstuhl untergebracht wurden. Doch die damaligen Bauarbeiter hatten die Statik des Turms wohl überschätzt. Klaffende Risse am Mauerwerk wurden nicht beachtet, und auch eine herzogliche Baukommission war über den Zustand des aufgestockten Kolosses nicht beunruhigt. Der Turm stürzte ein und löste einen Bauboom in der Stadt aus.

Das ganze Jahr 1542 hindurch waren Bietigheimer, Ingersheimer und Bürger aus Löchgau in Fronarbeit mit dem Abräumen des Schutts beschäftigt. Sie mußten den Bergfried bis auf die Fundamentmauern abbrechen und das Gelände einebnen. Auf einen Kirch- und Landwachtturm wollte die Stadt aus vielen Gründen aber nicht verzichten, beispielsweise, weil der Hochwächter die Aufgabe eines Feuermelders übernahm.

Nachdem die herrschaftlichen Baumeister Martin Vogel, Steinmetz zu Markgröningen, und Meister Georg, Maurer zu Weinsberg, die Örtlichkeiten besichtigt hatten, wurden der Bietigheimer Steinmetz Bernhard Münchinger und sein Bruder Meister Konrad von Ötisheim mit dem Bau beauftragt. Dieser war wohl ein recht mühseliges Unterfangen, denn sämtliches Baumaterial mußte aus den Markgröninger Steingruben herangefahren werden, weil die Quader des Bergfrieds nicht mehr für den Bau zu gebrauchen waren.

Das Erdgeschoß des neuen Kirchturms mit dem gotischen Portal wurde nach einer Inschrift bereits im Jahr 1544 aufgerichtet. Bis zur endgültigen Fertigstellung verstrichen aber noch weitere drei Jahre. Die hohen Kosten von 3500 Pfund Heller teilten sich damals die Stadt und die Kirche. dok

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