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Überraschung
in Leonberg
Farbe im Paradies der Stadtkirche entdeckt Renaissancemalerei
hinter Epitaphien des 16. und 17. Jahrhundert versteckt
LEONBERG, Kreis Böblingen. Überraschung in Leonberg:
Handwerker, die sich ums Wohlergehen der arg vom Zahn der Zeit
angenagten Sandsteinepitaphien bemühen, haben im westlichen
Eingangsbereich der Stadtkirche Farbmalereien entdeckt. ,,Ein reiner
Zufallsfund'', wie Christina Ossowski vom Kulturamt der Stadt
konstatiert. Offenbar handelt es sich bei den ans Tageslicht geholten
farbigen Ornamenten im Paradies - so wird der Kirchenzugang genannt -
um Malerei aus der Renaissance. ,,Das muß ein Gedenkbild gewesen
sein'', vermutet Frau Ossowski und deutet auf die jetzt wieder durch
die vorgehängten Epitaphien verdeckte Fundstelle. Da die
inzwischen in einer aufwendigen Rettungsaktion gesicherten Grabdenkmäler
als Zeugen des 16. und 17. Jahrhunderts gelten, werden die
Paradiesornamente jetzt als Vorläufer der Epitaphien betrachtet.
Die plastische Malerei, die Dreidimensionales in der Ebene
vorgaukelte, wurde offenbar in dem Moment überflüssig, als
es den Steinbildnern in der Spätrenaissance gelang, fein gemeißelte
Grabdenkmäler als Epitaphien für die zahlungskräftigeren
Bürgerschichten der Stadt herzustellen.
Die Farbmalereien im Stadtkirchenparadies waren im Juni entdeckt
worden, als die in einer Korber Steinmetzwerkstatt aufwendig
gesicherten Epitaphien wieder an der Wand befestigt werden sollten. Da
die Zeit drängte, wurden die überraschenden Funde sorgfältig
dokumentiert und abgelichtet. Inzwischen versperren die wuchtigen
Grabdenkmäler wieder den Blick auf die darunterliegenden
Farbschichten.
Um aber die Neugier der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu
befriedigen, hat die Stadt nicht nur für die wissenschaftliche
Dokumentation im Paradies in die Tasche gegriffen, sondern auch
etliche Farbdias von den ornamentalen Malereien herstellen lassen. Die
überraschenden Farbfunde sollen in einem im Herbst in der Reihe
,,Beiträge zur Stadtgeschichte'' erscheinenden Bändchen
vorgestellt und erläutert werden. Autorin ist Juliane Weigele,
die sich als Restauratorin um die ornamentale Malerei in der
Leonberger Stadtkirche gekümmert hat.
Daß es noch Malerei aus den Anfangszeiten der aus dem
Mittelalter stammenden Stadtkirche geben muß, war seit Beginn
der sechziger Jahre bekannt. Die damalige große Renovierung förderte
bereits einige Wandmalereien aus dem 14. und 15. Jahrhundert zutage,
darunter einen Passionsfries im Langhaus. Dieser Fries und die Malerei
im Chor blieben der Nachwelt sichtbar erhalten. Andere Arbeiten sind
dagegen weiter unter dem Putz verborgen.
So war klar, daß vor der aufwendigen Umzugsaktion der
Epitaphien ins Kircheninnere dort an jenen Stellen nach Farbfunden
gefahndet wurde, wo die gesicherten Grabdenkmäler künftig
angebracht werden sollten. Fand sich Farbe unter dem Putz, wurde
weitergesucht, bis schließlich ein neutraler Platz für die
früher vor allem auf der Südseite der Kirche schutzlos Wind
und Wetter nebst Mauerfeuchtigkeit ausgesetzten Epitaphien gefunden
wurde. Auch diese Farbfunde wurden - unter Regie der evangelischen
Kirchengemeinde - dokumentiert.
Am Sonntag wird die nach zwei Jahren abgeschlossene
Epitaphienrettungsaktion, die mit rund einer halben Million Mark zu
Buche schlägt, um 10 Uhr mit einem Festgottesdienst in der
Stadtkirche gefeiert. Anschließend können die aus der
damals im ganzen süddeutschen Raum bekannten Werkstatt des
Leonberger Steinbildhauers Jeremias Schwartz (geboren um 1545,
gestorben 1621) und dessen Söhnen stammenden Grabdenkmäler
im Kircheninneren und im überdachten Paradies besichtigt werden.
Außerdem besteht die seltene Gelegenheit, vom Stadtkirchenturm
herab auf die Große Kreisstadt am Autobahndreieck zu schauen.
Wen es hungert und dürstet, findet dann bis 17 Uhr beim
Kirchplatzfest leibliche Stärkung. zel
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