StZ sonstige Kreis-Seiten 19.09.1997



Überraschung in Leonberg

Farbe im Paradies der Stadtkirche entdeckt

Renaissancemalerei hinter Epitaphien des 16. und 17. Jahrhundert versteckt

LEONBERG, Kreis Böblingen. Überraschung in Leonberg: Handwerker, die sich ums Wohlergehen der arg vom Zahn der Zeit angenagten Sandsteinepitaphien bemühen, haben im westlichen Eingangsbereich der Stadtkirche Farbmalereien entdeckt. ,,Ein reiner Zufallsfund'', wie Christina Ossowski vom Kulturamt der Stadt konstatiert. Offenbar handelt es sich bei den ans Tageslicht geholten farbigen Ornamenten im Paradies - so wird der Kirchenzugang genannt - um Malerei aus der Renaissance. ,,Das muß ein Gedenkbild gewesen sein'', vermutet Frau Ossowski und deutet auf die jetzt wieder durch die vorgehängten Epitaphien verdeckte Fundstelle. Da die inzwischen in einer aufwendigen Rettungsaktion gesicherten Grabdenkmäler als Zeugen des 16. und 17. Jahrhunderts gelten, werden die Paradiesornamente jetzt als Vorläufer der Epitaphien betrachtet. Die plastische Malerei, die Dreidimensionales in der Ebene vorgaukelte, wurde offenbar in dem Moment überflüssig, als es den Steinbildnern in der Spätrenaissance gelang, fein gemeißelte Grabdenkmäler als Epitaphien für die zahlungskräftigeren Bürgerschichten der Stadt herzustellen.

Die Farbmalereien im Stadtkirchenparadies waren im Juni entdeckt worden, als die in einer Korber Steinmetzwerkstatt aufwendig gesicherten Epitaphien wieder an der Wand befestigt werden sollten. Da die Zeit drängte, wurden die überraschenden Funde sorgfältig dokumentiert und abgelichtet. Inzwischen versperren die wuchtigen Grabdenkmäler wieder den Blick auf die darunterliegenden Farbschichten.

Um aber die Neugier der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu befriedigen, hat die Stadt nicht nur für die wissenschaftliche Dokumentation im Paradies in die Tasche gegriffen, sondern auch etliche Farbdias von den ornamentalen Malereien herstellen lassen. Die überraschenden Farbfunde sollen in einem im Herbst in der Reihe ,,Beiträge zur Stadtgeschichte'' erscheinenden Bändchen vorgestellt und erläutert werden. Autorin ist Juliane Weigele, die sich als Restauratorin um die ornamentale Malerei in der Leonberger Stadtkirche gekümmert hat.

Daß es noch Malerei aus den Anfangszeiten der aus dem Mittelalter stammenden Stadtkirche geben muß, war seit Beginn der sechziger Jahre bekannt. Die damalige große Renovierung förderte bereits einige Wandmalereien aus dem 14. und 15. Jahrhundert zutage, darunter einen Passionsfries im Langhaus. Dieser Fries und die Malerei im Chor blieben der Nachwelt sichtbar erhalten. Andere Arbeiten sind dagegen weiter unter dem Putz verborgen.

So war klar, daß vor der aufwendigen Umzugsaktion der Epitaphien ins Kircheninnere dort an jenen Stellen nach Farbfunden gefahndet wurde, wo die gesicherten Grabdenkmäler künftig angebracht werden sollten. Fand sich Farbe unter dem Putz, wurde weitergesucht, bis schließlich ein neutraler Platz für die früher vor allem auf der Südseite der Kirche schutzlos Wind und Wetter nebst Mauerfeuchtigkeit ausgesetzten Epitaphien gefunden wurde. Auch diese Farbfunde wurden - unter Regie der evangelischen Kirchengemeinde - dokumentiert.

Am Sonntag wird die nach zwei Jahren abgeschlossene Epitaphienrettungsaktion, die mit rund einer halben Million Mark zu Buche schlägt, um 10 Uhr mit einem Festgottesdienst in der Stadtkirche gefeiert. Anschließend können die aus der damals im ganzen süddeutschen Raum bekannten Werkstatt des Leonberger Steinbildhauers Jeremias Schwartz (geboren um 1545, gestorben 1621) und dessen Söhnen stammenden Grabdenkmäler im Kircheninneren und im überdachten Paradies besichtigt werden. Außerdem besteht die seltene Gelegenheit, vom Stadtkirchenturm herab auf die Große Kreisstadt am Autobahndreieck zu schauen. Wen es hungert und dürstet, findet dann bis 17 Uhr beim Kirchplatzfest leibliche Stärkung. zel

Atrikelübersicht


© 1997 Stuttgarter Zeitung, Germany