Es stand in der »Stuttgarter« ... am 20.8.1997

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Aus Baden-Württemberg 20.08.1997



Oberndorf finanziert Ausgrabung des Landes

Landesarchäologe Biel: Kein großer Substanzverlust durch Mittelkürzung

mag. OBERNDORF, Kreis Rottweil. Die Landesarchäologen haben mit der Stadt Oberndorf einen einzigartigen Handel abgeschlossen. Weil die Altertumsforscher kein Geld mehr für Grabungen haben, finanziert die Stadt die Bergung eines römischen Gutshofs auf ihrer Gemarkung für das laufende Jahr. Umgekehrt verpflichtet sich das Denkmalamt, die Kosten für das nächste Jahr in gleicher Höhe (150.000 Mark) zu übernehmen. ,,Dabei können wir zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt noch nicht sagen, ob wir 1998 wieder mehr Grabungsmittel zur Verfügung haben'', erklärte der oberste Grabungsexperte des Landes, Jörg Biel.

Immerhin versetzt der bis jetzt in Baden-Württemberg einmalige Handel zwischen einer Stadt und einer staatlichen Sonderbehörde die Archäologen in die komfortable Lage, neben Villingendorf ihre größte Grabung im Land fortführen zu können. Direkt neben der Ausfahrt Oberndorf der Bodenseeautobahn hat die Stadt auf der Gemarkung Bochingen ein Gewerbegebiet ausgewiesen, das es buchstäblich in sich hat. Seit gut hundert Jahren weiß man durch eine damalige Grabung, daß sich knapp unter der Ackerkrume Reste eines römischen Gutshofs befinden. Nachdem dann die Autobahntrasse erstens den Gipskeuper und zweitens beinahe das archäologische Feld angeschnitten hätte, wurde der Bereich zum Grabungsschutzgebiet erklärt. Dessen ungeachtet hat die Stadt für das künftige Gewerbegebiet einen rechtsgültigen Bebauungsplan aufgestellt und damit die Archäologen in argen Zugzwang gebracht. Seit zwei Jahren wird dort an allen möglichen Stellen gegraben, was nicht ganz im Sinne des Ausgräber ist. Doch die Stadt wollte partout ihre Erschließungsstraßen bauen, weshalb die Archäologen ihr Grabungsraster danach ausrichten mußten.

Daher mutet das Gräberfeld von Bochingen etwas abenteuerlich an. Dort eine Grube, da ein Loch, hundert Meter weiter ein Erdwall und die Mauerreste eines Ökonomiegebäudes, dessen Fund allen möglichen Spekulationen Tür und Tor öffnet. ,,Es sieht genauso aus wie ein Wirtschaftsgebäude in der Toskana'', schwärmt Grabungstechniker Thomas Schlipf. Alle vier Wände dieses Hauses sind komplett nach außen gefallen und waren noch 1600 Jahre nach ihrer Zerstörung so gut erhalten, als seien sie von Riesenhand sanft umgelegt worden. ,,Damit hatten wir erstmals die Höhen der Hauswände, nämlich sieben bis acht Meter'', frohlockt Jörg Biel. Die Dachziegel waren exakt die gleichen, die man heute noch auf den wuchtigen Scheunen zwischen Volterra und Siena sieht.

Der römische Gutshof bei Bochingen, auf der Neckarhochfläche gelegen, war etwa drei Hektar groß. Obwohl es bis jetzt keinerlei Hinweise auf die mutmaßlichen keltischen Bewohner gibt, geht Jörg Biel davon aus, daß der landwirtschaftliche Betrieb von Einheimischen und nicht im engeren Sinne von Römern betrieben wurde. Er gehörte zweifellos zu den größeren seiner Art und trug mit Sicherheit zur Versorgung des römischen Rottweils bei. Warum es nun die Scheunenwände so akkurat nach außen gedrückt hat, darüber gibt es bei den Fachleuten ganz unterschiedliche Theorien. Sie reichen von einem Erdbeben bis hin zur Mehlstaubexplosion als Einsturzursache.

Weil die Archäologen dort vermutlich noch auf Jahre beschäftigt sind, ist die Vorfinanzierung der Grabung durch die Stadt Oberndorf nicht ganz uneigennützig, wie Jörg Biel versichert. ,,Die wollen uns so schnell wie möglich loshaben. Denn wenn ein Investor hört, daß in dem Gewerbegebiet die Archäologen buddeln, dann wendet sich der sofort ab.'' Die abschreckende Wirkung der Bodendenkmalpfleger auf die Wirtschaft ist dem Landesarchäologen durchaus bekannt. Im Fall Oberndorf sieht Biel das aber sehr gelassen. Bis auf zwei Betriebe, die sich da jüngst angesiedelt haben, tut sich seitdem nichts mehr. Man könnte das Gewerbegebiet Bochingen auch als kommunale Fehlinvestition betrachten. Um dies aber etwas zu kaschieren, werden die Archäologen als Grund für die zögerliche Besiedlung auf kommunaler Ebene genannt. Biel kennt dieses Verhalten auch von anderen Gemeinden.

Durch die drastischen Sparbeschlüsse der Landesregierung müssen allein die Bodendenkmalpfleger im laufenden Jahr 7,6 Millionen Mark einsparen. ,,Die Auswirkungen für uns sind weniger schlimm, als zunächst erwartet'', konstatiert Jörg Biel, ,,weil nämlich gleichzeitig die Bautätigkeit ziemlich zurückgegangen ist.'' In das große Lamento vom Substanzverlust will er nicht mit einstimmen, wiewohl er auf einen anderen, beschäftigungspolitischen Aspekt hinweist. Viele Grabungen im Lande wurden mit schwervermittelbaren Arbeitslosen durchgeführt. Nachdem die Grabungstätigkeit von durchschnittlich achtzig auf jetzt zwanzig im Jahr zurückgegangen ist, haben diese keine Chancen mehr. Allzu lange sollte der Sparkurs auch deshalb nicht anhalten, weil die deutschen Archäologen dann Gefahr laufen, ihren international guten Ruf aufs Spiel zu setzen. ,,Es sind eigentlich nur die Großgrabungen wie Oberndorf, die wissenschaftlich ergiebig sind und zu neuen Erkenntnissen führen'', betont Biel. Im Augenblick hangele man sich aber von Notgrabung zu Notgrabung. Da ist man dann schon froh, wenn man hie und da rechtzeitig informiert wird, um in einem künftigen Baugebiet archäologische Voruntersuchungen zu tätigen. So will sich der Unterländer Lebensmittelriese Lidl und Schwarz in fünf Jahren in Neuenstadt am Kocher (Kreis Heilbronn) ansiedeln. ,,Bis dahin haben wir Zeit genug zu graben'', meint Biel. ,,Und wenn Not am Mann ist, dann muß halt mein Fahrer zur Schaufel greifen. Das war früher so üblich.''


© 1997 Stuttgarter Zeitung, Germany

Es stand in der »Stuttgarter« ... am 16.8.1997

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