Es stand in der »Stuttgarter« ...
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Und die »Ilias« hat doch rechtVon Michael PetersenHat hier, genau auf diesem Stein der hohen Befestigungsmauer Trojas, ein Krieger das Trojanische Pferd herannahen sehen? Die Angreifer aus Griechenland hatten einen sechs Kilometer langen Weg von der Ägäis hinter sich. Oder hatten sie ihre Segelschiffe durch die 4,5 Kilometer entfernten Dardanellen gesteuert? Die sind gut zu erkennen, obwohl die Ebene des Flusses Skamander heute von der Landwirtschaft genutzt wird. Im Jahr 1180 vor unserer Zeitrechnung schauten die 7.000 Bewohner der Großstadt Troja auf eine Lagune. Die Streitwagen der Achäer mußten an einem drei Meter breiten und einen Meter tiefen Graben stoppen, den die Verteidiger der Stadt in das Kalkgestein gehauen hatten. Genau wie von Homer in der ,,Ilias'' beschrieben. Den Kämpfern sollte nichts anderes übrigbleiben als abzusteigen. Dann waren sie von den 80 bis 100 Meter weit fliegenden Pfeilen besser zu treffen. ,,Seit ein paar Tagen können wir hinter den Gräben auch ein mehrere Meter hohes Bollwerk aus Holz nachweisen'', unterbricht die Stimme des Tübinger Professors Manfred Korfmann die Gedanken. Eine derartige Befestigung wurde in der Archäologie des Ostmittelmeerraumes dieser Zeit noch nicht gefunden. Auch sie ist in der ,,Ilias'' recht genau beschrieben. Der Verteidigungsring um Burg und Unterstadt mit einem Umfang von 2000 Metern war bestimmt nur schwer zu nehmen. Laut Homer jedenfalls nur mit der List des Trojanischen Pferdes. ,,Herr Korfmann, wir haben das südliche Tor im Bollwerk der Unterstadt gefunden'', ruft ein junger Mann. Der Grabungsleiter nickt befriedigt. Er hat diesen Fund erwartet, wird ihn bei der achtstündigen Führung später selbst zum erstenmal sehen. Seit zehn Jahren stoßen die bis zu hundert Wissenschaftler und die ebenso vielen türkischen Arbeiter des Grabungsteams auf bisher unentdeckte Mauern, Scherben, Münzen, Brunnen oder auch Statuen. So hebt Korfmann schwer an einem Kopf des Kaisers Augustus (31 v. Chr. bis 14 n. Chr.). Der wurde in diesem Sommer unbeschädigt ausgegraben. Troja lebt und verrät seine Geheimnisse - nach mehr als tausendjährigem Dornröschenschlaf. Bereits vor 5.000 Jahren, in der Bronzezeit, bauten auf diesem Hügel
Menschen Häuser aus Stein. Hier gruben die ersten Archäologen.
Und Troja gab der Archäologie die Chronologie. Auf sieben
Siedlungsschichten mit 41 Bauphasen türmten von 500 v. Chr. bis
450 n. Chr. die Baumeister der griechischen und römischen Antike
ihre Paläste. Heute lassen sich Funde im gesamten Mittelmeerraum
mit Troja abgleichen. So läßt sich ihre Entstehungszeit
bestimmen. Das ganze Team wohnt in einfachen Hütten im Mandeldorf, zehn
Fußminuten vom Grabungshaus entfernt. Dort steht von 5.30 Uhr an
das Frühstück auf dem Tisch: Joghurt, Tomaten, Rührei,
starker Tee. Spätestens um halb sieben sind alle bei der Arbeit.
Jeder will die kühlen Morgenstunden nutzen. Und der Tag ist lang.
Zwölf Stunden Arbeit, Sechstagewoche, geringe Bezahlung. Selbst
Anerkennung wird zurückhaltend gespendet. ,,Ich lobe nicht, weil
wir sowieso zu guter Arbeit verpflichtet sind'', sagt Korfmann. Bei
diesen Worten atmet ein Mitarbeiter ganz tief durch. Ein
Schulterklopfen hier oder dort wäre sicher willkommen. Der Engländer Frank Calvert, nicht Heinrich Schliemann, setzte 1863 auf dem nur 31 Meter hohen Hügel Hisarlik als erster den Spaten an. Später zeigte Calvert den Ort dem weit finanzkräftigeren Schliemann, der sich künftig gerne als Entdecker Trojas feiern ließ. Schliemann hielt bei seinen Grabungen zwischen 1870 und 1890 die ,,Ilias'' als Vorlage in den Händen. Spektakulär waren seine Funde, aber er stieß vorwiegend auf Reste früherer Siedlungen aus der Bronzezeit. Hinsichtlich der ,,Ilias'' zog er falsche Schlüsse. Manche Kritiker triumphierten. Manfred Korfmanns Bilanz nach zehn Jahren Grabungen in Troja lautet anders: ,,Die Übereinstimmungen mit der ,Ilias' sind verblüffend, keines der angeblichen Gegenargumente der Archäologie hat Bestand.'' Beispiele? Troja war nach der Zerstörung nicht 450 Jahre lang - bis zu Homer -, sondern nur 250 unbesiedelt. Das läßt mündliche Überlieferungen glaubhaft erscheinen. Der Fund eines Siegels mit der altanatolischen Schrift Luwisch setzte die Fachwelt in höchstes Erstaunen. Schriftliche Überlieferungen sind somit wahrscheinlich geworden. Und dazu ist das Siegel ein weiteres Indiz für Korfmanns These, daß Troja viel stärker im anatolischen Einflußgebiet verwurzelt ist als - so hatte man bisher angenommen - im griechischen. Das Bronzesiegel, eine Bronzefigur einer orientalisch-anatolischen Gottheit, die Kombination aus Burg und Unterstadt belegen für Korfmann eine enge Bindung an Kleinasien. ,,Herr Korfmann, haben Sie Troja eine neue Heimat gegeben?'' Der stimmt der Frage mit kräftigem Kopfnicken zu. Vor den Mauern der Unterstadt stieß das Team in einer Brandschicht auf einhundertfünfzig schwarze, gleichartige und somit ausgesuchte Kiesel, die nur Schleudersteine sein konnten. Für Korfmann ein Indiz für einen verlorenen Krieg. ,,Die Wut der Angreifer reicht aus, um eine Stadt anzuzünden, aber sie machen sich nicht die Mühe, Steine wegzuräumen. In Friedenszeiten würden die Steine stören, man würde sie nicht herumliegen lassen.'' Interessant: Moderne Verfahren deuten darauf hin, daß diese Steine um das Jahr 1180 v. Chr. geformt worden sind. Philologen datieren den Trojanischen Krieg auf diesen Zeitabschnitt. Ob es sich dabei um den Trojanischen Krieg handelt, lassen die
Altertumsforscher freilich offen. ,,Denn Helena, Hektor und König
Priamos werden wir nie finden'', sagt Korfmann. Das grämt ihn
auch nicht. ,,Das beste Kunstwerk der Literatur braucht uns nicht, es
steht für sich'', sagt der Archäologe. Mit seiner Hilfe
steht es dennoch auf immer festerem Boden. Bis zur Erfindung des Dampfschiffs setzte die Fahrt durch die
Dardanellen großes seemännisches Können voraus und
noch mehr Geduld. Denn gegen häufig wehende Nordostwinde waren
Segelschiffe chancenlos auf ihrem Weg von der Ägäis in
Richtung Istanbul und Schwarzes Meer. Meteorologen haben gemessen, daß
dieser Wind im Durchschnitt mit 27 Kilometern in der Stunde aus Norden
weht. Außerdem bremst eine starke Strömung. Also blieb nur
Warten auf Südwind. Dieses Warten hat Troja reich gemacht. Auch das ständig höher wachsende Zementwerk hat den Archäologen Korfmann beschäftigt. Erst seit ziemlich genau einem Jahr kann er einigermaßen sicher sein, daß durch Industrie und Tourismus nicht in unmittelbarer Nähe Trojas wertvolle archäologische Funde zerstört werden. Der Tübinger Professor hat nach 25 Jahren beharrlichen Vorsprechens in Ankara erreicht, daß die Landschaft um Troja von der türkischen Regierung zum ,,Historischen Nationalpark Troja'' erklärt wurde. Straßenbau- oder Häuserbau, selbst das Pflanzen von Bäumen bedarf jetzt der Genehmigung. Um so wütender ist Korfmann, als er auf der Fahrt mit dem Geländewagen Rohbauten illegal errichteter Ferienhäuser sieht, gleich neben dem Grabhügel des Achilles. Später lobt Gouverneur Ekrem Özsoy vor Journalisten die Vorzüge des Nationalparks. ,,Die Türkei hat die weltweite Bedeutung von Troja erkannt'', sagt er. Taktisch klug spricht ihn Korfmann unmittelbar nach diesen Worten auf die Ferienhäuser an. Der Gouverneur kann gar nicht anders, als zu versprechen, sie umgehend abreißen zu lassen. Auch ein Altertumsforscher hat Visionen. Für das riesige
Einzugsgebiet der 15-Millionen-Metropole Istanbul hofft Korfmann auf
den Anbau von Biogemüse im Nationalpark. Dort, wo heute die
chemische Keule eingesetzt wird. An den früheren Plätzen
mittelalterlicher Windmühlen wachsen vor seinen Augen bereits
moderne Windkraftanlagen. Als Manfred Korfmann die Grabungsrechte erhielt, wäre der Start der Arbeiten fast am Geld gescheitert. Doch auch hier öffneten sich Türen zu einflußreichen Menschen. Diesmal half der damalige Daimler-Benz-Vorstandschef Edzard Reuter. Seit Beginn der Grabungen 1998 steuert der Konzern Jahr für Jahr 250.000 Mark und damit rund zwanzig Prozent zum Grabungsetat bei. Mit diesem sogenannten Kultursponsoring finanziert Korfmann auch Abschnitte, die von der Deutschen Forschungsgesellschaft niemals finanziert werden würden. Dazu gehört die Aufstellung von Schautafeln für die 2.000 Touristen, die Tag für Tag durch Trojas Mauern streifen. Die nächsten sollen auch auf japanisch verfaßt sein. Und noch wichtiger: die Konservierung und Restaurierung von vielen Mauern Trojas. ,,Ohne diesen großen Aufwand zerfällt die Ruine zur Ruine'', sagt Korfmann. Troja hat ziemlich gute Chancen, im nächsten Jahr zum Weltkulturerbe ernannt zu werden. Korfmann freut der Zuwachs an Image, ihm persönlich bedeutet die Auszeichnung wenig: ,,Für mich ist Troja sowieso Weltkulturerbe, da braucht mir keiner was zu erzählen.''
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© 1997 Stuttgarter Zeitung, Germany |