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Kleindenkmale
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Stille Einkehr am Wegesrand Der Urlauber findet sie in
Oberschwaben und im Allgäu fast auf Schritt und Tritt:
Kruzifixe am Wegesrand, Bildstöcke, Heiligenfiguren. Sie sind
Teil eines stimmungsvollen Landschaftsbildes, ein beliebtes
Postkartenmotiv. Solche religiösen Kleindenkmale sind in der
Region Stuttgart selten. Sind oder waren die Menschen hier weniger
religiös? Mit Blick auf die pietistischen Eiferer läßt
sich diese Frage wohl verneinen. Es gibt einen anderen Grund: Altwürttemberg
ist seit der Reformation über Jahrhunderte hinweg ein (fast)
rein protestantisches Gebiet gewesen, das der Kunst und der
Abbildung im Bereich des Glaubens distanziert gegenüberstand.
Anders in katholischen Gebieten, wo besonders das Barock viele
kunstvolle Skulpturen hinterlassen hat. Wo man in Württemberg
solche steinernen (seltener auch hölzerne) Zeugen des
Glaubens in Feld und Flur findet, gehört das Land erst seit
dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und
der napoleonischen Neuordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Württemberg.
Bis dahin war es Herrschaftsgebiet von dem alten Glauben
verhafteten Adeligen, wie den Herren von Neuhausen oder den Grafen
von Rechberg, war Besitz des Deutschritterordens wie Dätzingen,
gehörte zur nach 1580 rekatholisierten Grafschaft
Wiesensteig der Helfensteiner oder zum Territorium einer der
wenigen nicht protestantisch gewordenen Reichsstädte wie
Weil der Stadt im Kreis Böblingen.
Ein Hochkreuz mit Kruzifix am Straßenrand oder auf dem
Feld ist so ein Zeuge vergangener politischer Verhältnisse.
Und diese wirken bis in die Gegenwart herein. Noch heute, wo die
Menschen beider großen christlichen Konfessionen längst
bunt gemischt zusammenleben, finden sich Kreuze nur in Gebieten
mit katholischer Vergangenheit, sind also Glaubens- und
Geschichtszeugnisse zugleich.
Das hölzerne Christuskreuz an der Schafhauser Straße
in Weil der Stadt ist vermutlich von Maria Sauter, geborene Schütz
etwa um 1830 gestiftet worden, hat ein Nachfahr, der
Heimathistoriker Siegfried Schütz, ermittelt. Die betuchte
Frau, verwandt mit der aus der welschen Schweiz zugewanderten vermögenden
Tuchmacherfamilie Gaudy, hat mehrere kirchliche Stiftungen
gemacht.
Der Anlaß für die fromme Stiftung liegt im dunkeln.
Das ist meistens so. Auch dort, wo eine Inschrift erläutert:¸¸Zur
Ehre Gottes'', oder die ¸¸Vorübergehenden'' zu
stiller Einkehr und zum Gebet am Wegesrand auffordert, wird die
Absicht des Stifters nicht klarer. Wegkreuze sind einfach Zeichen
der Volksfrömmigkeit vergangener Zeiten. Wie eng Glauben und
Leben damals miteinander verbunden waren, vermögen sich viele
heute gar nicht mehr vorzustellen.
Wie die meisten Christuskreuze wird auch dieses ein Votivkreuz
sein, das die Stifterin aufgrund eines Gelöbnisses (¸¸ex
voto'') aufstellen ließ. Es mag um das eigenen Seelenheil
gegangen sein oder um profanere Dinge: daß der Mann oder der
Sohn im Krieg oder auf Reisen vor Unheil bewahrt bleibe, daß
die Geschäfte gut gelaufen sind, daß Hungersnot oder
eine schwere Krankheit überstanden wurde. Dank oder Buße
finden hier ihren sichtbaren Ausdruck, dem Gedächtnis an eine
Person oder ein Ereignis, dem Lobpreis Gottes können solche
Kreuze gewidmet sein oder dem Schutz vor Pest und die Bauern
existentiell bedrohenden Unwettern. So lassen sich die Pestkreuze
und die Blitz- und Hagelkreuze in Feld und Flur deuten.
Noch heute gibt es solche Zeugnisse der Volksfrömmigkeit in
Weil der Stadt. Vor drei Jahren ist an der Ostelsheimer Steige ein
Betonkreuz (ohne Christusfigur) von einer Frau gestiftet worden.
Mit einem kleinen Altartisch versehen, bildet das Kreuz eine
Station bei der Himmelfahrtsprozession im Hönig. Und im
Altfeld ist 1996 ein weiteres Kreuz dazugekommen. Die Tradition
lebt fort.
Übrigens, das Christuskreuz an der Schafhauser Straße
muß dem Ausbau der Südumgehung weichen. Das religiöse
Kleindenkmal soll versetzt, aber nicht beseitigt werden.dka
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