StZ Feuilleton 09.01.1998

 

Wenn keiner hinschaut

Die Raubzüge der modernen Schatztaucher

Mit Gold und Silber, Gewürzen, Schmuck und Edelsteinen an Bord stachen sie von fernen Häfen aus in See, um die kostbare Fracht über die Weiten der Ozeane nach Europa zu bringen. Doch so manche spanische Galeone, mancher holländische Ostindienfahrer erreichte den Bestimmungsort nie. Etliche sanken im Sturm, zerschellten an Klippen und Riffen oder strandeten auf Sandbänken. Ob der unberechenbaren Naturgewalten sowie mangels navigatorischer Kenntnisse waren solche Unternehmungen ein Wagnis. Nicht minder risikoreich geht es heutzutage bei der Suche und Bergung legendärer Schiffswracks zu.

Trotzdem boomt die Unterwasserschatzsuche. Modernste Ortungs- und Bergungssysteme ermöglichen es, die entlegensten Winkel der Meere abzusuchen und wertvolle Schiffsladungen aus immer größeren Tiefen zu bergen. ¸¸Die Technik ist jetzt da'', so schwärmt Klaus Keppler, Chef der Nautik GmbH in Sasbach. Der führende deutsche Schatzsucher ist davon überzeugt, daß in den kommenden zehn Jahren die meisten Schatzschiffe entdeckt und ihre Ladungen gehoben sind. Aber neben den wenigen Profis beteiligen sich daran zugleich Scharen von Abenteurern, die der schnelle Reichtum lockt.

Den ¸¸weltweiten Bergungswahn'' betrachten andere mit Argwohn. ¸¸Leicht erreichbare Wracks werden systematisch ausgeplündert'', so erklärt Uwe Schnall vom Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven. Deswegen reagieren Archäologen und Historiker sofort, wenn wieder einmal von einem neuen, spektakulären Schatzfund berichtet wird. Aus gutem Grund: für die Fachwelt sind historische Schiffswracks als sogenannte Zeitkapseln interessant, da sie ein komplexes Bild einer bestimmten Epoche liefern. ¸¸Es ist nicht notwendig, daß alles intakt ist'', so erläutert Schnall. Auch die Trümmerschichten alter Segler, die oft tief unter Sand liegen oder längst von Korallen überwachsen sind, haben wissenschaftlichen Wert. Schiffswracks sind innerhalb nationaler Hoheitsgewässer geschützt - theoretisch wenigstens. ¸¸Aber wo keiner hinschaut, da wird hemmungslos zugelangt.'' So gebe es etwa rund um die Bermudas kein einziges erhaltenes Wrack mehr, sagt Schnall. ¸¸Auch vor der australischen Küste wurden ganze Schiffe zerpflückt, damit man an die wertvolle Fracht kommt.'' Fernab der Küsten, in internationalen Gewässern ist die Rechtslage dagegen sehr schwierig: ¸¸Es gibt Unesco-Deklarationen - aber eben noch nicht für Kulturgut unter Wasser'', bedauert der Experte. Dabei sind die Forderungen der Fachwelt keineswegs überzogen: ¸¸Wir möchten wenigstens alles dokumentieren, bevor es geborgen wird, und erwarten, daß nicht jeder auf dem Meeresgrund machen kann, was er will.''

¸¸Die Kluft zwischen Wissenschaft und kommerzieller Wracksuche muß nicht sein'', so behauptet Carsten Standfuß. Beide Seiten könnten durchaus voneinander profitieren. Der Schiffbauingenieur aus Bardenfleth bei Bremen betrachtet sich als ¸¸Wrackforscher''. In seinem Arbeitszimmer hat er Hunderte von Büchern und Seekarten gehortet. Obendrein führt er ein elektronisches Archiv, in dem 17783 Schiffswracks erfaßt sind - ¸¸davon rund zweitausend mit Wertladung''. Berichten und Gerüchten von sagenhaften Schiffsladungen geht er akribisch nach. ¸¸Ich sammle so lange Fakten, bis ich die Schatztheorie widerlegt habe'', sagt Standfuß. ¸¸Wenn sich aber die Informationen verdichten, ist vermutlich etwas Wahres dran.'' Dennoch könne man nie mit Sicherheit sagen, was und wieviel von einer Ladung noch vorhanden und somit zu bergen sei. Zwar läßt sich mittels intensiver Recherche etwas Licht ins Dunkel vieler Schiffsuntergänge bringen. Aber die exakte Position einer spanischen Galeone zu ermitteln ist fast unmöglich.

Laut Standfuß ist das auch das Hauptproblem der meisten Such- und Bergungsexpeditionen. Zwei von drei Unternehmungen verlaufen ¸¸wenig erfolgreich'', weil entscheidende Kriterien nicht beachtet wurden. So sind Stahlschiffe zwar relativ leicht zu orten, doch liegen sie entweder in der Tiefsee oder zu nah am Fahrwasser, was die Bergung sehr kostspielig macht. Segelschiffe dagegen strandeten häufig vor der Küste, dort aber liegen sie oft metertief im Sand. Neben exakten Recherchen gilt es stets, die rechtliche Absicherung sowie die Finanzierung im Auge zu behalten. Immerhin ist der Aufwand enorm. Teure Ausrüstung, ein Team von Spezialisten, viel Zeit und Ausdauer sind erforderlich. Deshalb umwerben Wracksucher risikofreudige Investoren. Gewinne, aber auch Verluste können geradezu astronomisch ausfallen. Jede Expedition will daher gut durchkalkuliert und vorbereitet sein.

Mittels Sachverstand und Spitzentechnik möchte Schatztaucher Klaus Keppler eben diesem Glück auf die Sprünge helfen. ¸¸Die Zeit ist reif für das kalkulierte Abenteuer'', verspricht die von ihm mitbegründete Hamburger seabed invest GmbH. Mit dem Suchschiff Jade wird Keppler in Kürze zu den Scilly-Inseln aufbrechen. Schon 1996 war er dort auf Suchexpedition und konnte insgesamt achtzig Schiffswracks ausfindig machen.

Die seabed invest konzentriert sich auf drei Projekte, wofür sie bereits die Bergerechte besitzt. Außerdem hofft man, das Wrack der Merchant Royal zu entdecken. Den Wert der Ladung des 1641 gesunkenen britischen Handelsschiffs - man vermutet Gold und Silber - schätzt Keppler auf fünfzig bis zweihundert Millionen Mark. Er ist optimistisch, daß ihm diesmal der große Wurf, die Ortung der Merchant Royal, gelingen wird. ¸¸Wir haben bereits zwei Drittel des Gebietes, wo sie nach unseren Recherchen gesunken ist, abgesucht. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir das Wrack gefunden haben.'' Das Suchschiff Jade ist mit modernster Technik wie Magnetometer und ferngesteuerten Videokameras ausgestattet. Es verfügt zudem über Satellitennavigation, mit der sich seine Position bis fast auf den Meter genau bestimmen läßt. Dadurch wird sichergestellt, daß beim Absuchen großer Meeresflächen ¸¸kein Fleckchen übersehen wird''.

Parallel zur Suche soll nunmehr auch die erste Bergung anlaufen. Sie gilt der Princess Marie, einem holländischen Ostindienfahrer, der 1686 ebenfalls vor den Scilly-Inseln mit einer Ladung aus Silbermünzen, Keramikkrügen und Schmuck sank: ¸¸Selbstverständlich werden die Arbeiten von Archäologen begleitet'', versichert Keppler. Es steigere den Wert der Fundstücke, wenn ihre Herkunft mittels Expertisen nachgewiesen werden kann. Aber, so schränkt der Schatztaucher ein: ¸¸Nicht überall müssen Archäologen dabeisein, weil nicht jedes Schiff ein Kulturerbe ist.''

¸¸Jedes Wrack hat seine eigene Geschichte'', glaubt dagegen Peter Baltes, Leiter des Wrackmuseums in Cuxhaven. Hier werden keine kostbaren Schätze ausgestellt, sondern markante Schiffsteile sowie ¸¸allerlei Gerätschaft und Dinge des Alltags'', die von der Seefahrt zeugen. Die Exponate stammen aus Weser- und Elbemündung. Baltes hat früher selber Bergungsunternehmen beraten und mit seiner Privatsammlung den Grundstock für das ungewöhnliche Museum gelegt. In den sechziger Jahren wurden in der Deutschen Bucht zahlreiche Schiffe aus dem Krieg geborgen, berichtet Baltes. ¸¸Eine archäologische Begleitung stand nicht zur Debatte. Das galt alles als Schrott, und vorrangig war dessen Verwertung.'' Erst im Laufe der Zeit habe sich das Bewußtsein geändert.

Solange keine Raubbergung vorliegt, arbeiten Museen mit privaten Bergern zusammen. Es sei immer noch besser, Museen kauften die Fundstücke an, als daß sie in Privatsammlungen landeten, sagt Baltes. Schatztaucher Keppler begrüßt dies. Selbst Uwe Schnall vom Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven hat keine Einwände: ¸¸Die Sammler sollen schon auf ihre Kosten kommen.'' Er nimmt das eigene Haus davon nicht aus: ¸¸Wenn etwas sauber gehoben wurde, spricht nichts gegen den Ankauf.'' Und dennoch: ¸¸Wir Historiker freuen uns diebisch, wenn die Bergung mit viel Aufwand erfolgt und anstelle von Gold nur Kondome und Kartoffeln an Bord sind.'' Bernd Dornbusch