|
Wer schafft den Aufstieg ins Weltkulturerbe?
Im Schatten von Stralsund hat die Hansestadt Wismar ihren
mittelalterlichen Kern erfolgreich wiederbelebt / Von Harald
Lachmann
Mecklenburg-Vorpommern erlebt derzeit ein unerklärtes, aber
um so spannenderes Städte-Duell: Zwei alte Hansestädte
bemühen sich um einen Platz auf der Liste des Weltkulturerbes
der Unesco. Die Chancen sind etwas ungleich verteilt. Auf der
einen Seite steht Stralsund, das mit seinen mehr als 800 Baudenkmälern
schon zu DDR-Zeiten als Musterbeispiel für Denkmalpflege galt
und auch nach 1990 übers Bundesprogramm ¸¸Städtebaulicher
Denkmalschutz'' hoch subventioniert wird. Der kleinere
Mitbewerber, Wismar, galt mit seiner vergleichsweise intakten
Altstadt schon immer als Insidertip für Freunde
mittelalterlicher Architektur. Doch den Vergleich mit Stralsund hätte
man hier nie gewagt.
Entsprechend verteilte auch die Schweriner Landesregierung ihre
Städtesanierungsmittel zugunsten von Stralsund. Doch der
Musterknabe wurde zum Sorgenkind. In Stralsund werde heute eine ¸¸hochwertvolle,
aber weitgehend verfallene Altstadt'' von drei Einkaufszentren
umzingelt, rügt Mecklenburgs Chefdenkmalpfleger Dieter
Zander. In den letzten Jahren verließen drei Viertel der
Bewohner die historischen Quartiere.
Lob dagegen für Wismar. ¸¸Es ist dabei, Stralsund
den Rang abzulaufen. Die Stadt ist schon jetzt weit attraktiver'',
so Zander. In der Tat wurden hier die historischen Altstadtviertel
beharrlich und ohne großes Aufsehen Zug um Zug saniert.
Dennoch bewarb sich zuerst Stralsund um die Aufnahme ins
Weltkulturerbe der Unesco. Wismar wurde lange von wohlmeinenden
Experten gedrängt; so vom Vorsitzenden der Deutschen Stiftung
Denkmalschutz, Prof. Dr. Gottfried Kiesow, der die Altstadtkirche
St. Georgen, ein Backsteinbau, heute gar als ¸¸Schlachtschiff
deutscher Denkmalpflege'' rühmt. Eine 1996 gebildete
Arbeitsgruppe recherchierte zunächst lange im stillen. Sie
besuchte Lübeck, Quedlinburg und Goslar, die bereits von der
Unesco anerkannt sind, informierte sich über die Kriterien
des Welterbe-Sekretariats in Paris, checkte eigene Potenzen.
Schließlich traute man sich doch. 1997 beschloß
Wismars Bürgerschaft die Bewerbung.
Bei alledem bleibt Wismar ein eher untypischer Aspirant für
die internationale Würdigung. Denn die Stadt ziele mit der
Bewerbung nicht vordergründig auf zusätzliche Geldströme,
die von der Unesco ohnehin nicht zu erwarten seien, weiß
Wolfgang Puls, Chef jener Arbeitsgruppe. ¸¸Wir kamen mit
den bisherigen Mitteln klar, und wir schaffen das auch künftig'',
versichert er.
Offenbar sehen die Wismarer in dieser Bescheidenheit sogar ihre
besondere Chance. Etwa im Vergleich zu Stralsund, wo trotz der
immensen Förderung wenig Ergebnis zu sehen ist und die
Altstadt noch 3,4 Milliarden Mark verschlingen soll - Gelder, die
man sich nun von der Unesco erhofft. Doch nach ernüchternden
Visiten in anderen ostdeutschen Städten, etwa Quedlinburg und
Potsdam (Sanssouci), wurden die Unesco-Experten mittlerweile höchst
vorsichtig. Zu oft hinterließen für sie jene Besuche
den Eindruck eines Fasses ohne Boden, erfuhren die Wismarer von
deutschen Unesco-Vertretern. Insider vermuten deshalb, daß
es vorerst keine Neuaufnahmen von Städten ins Welterbe gibt,
wenn dabei erneut gewaltige Ausgaben zu erwarten sind. Zur
Unesco-Tagung im Dezember in Neapel war denn auch kein deutscher
Aspirant ins Rennen gegangen.
All das gab für Wismar dann mit den Ausschlag, sich gleich
parallel zu Stralsund zu bewerben. Denn falls die bekanntere
Schwester durchfiele, wäre wohl auch für Wismar der Zug
abgefahren, fürchtet Puls: ¸¸Wer weiß, ob
dann sobald wieder ein Expertenteam den Weg an die ostdeutsche Küste
findet.'' Als wichtigsten Bonus für ihre Bewerbung nennt er
den einmaligen, seit dem 12./13. Jahrhundert nahezu unveränderten
kreisförmigen Grundriß der Hansestadt.
Auch der Hallenser Architekt und Denkmalpfleger Dr. Helmut
Stelzer, der schon Quedlinburgs Aufnahme auf die Unesco-Liste
vorbereitete, attestiert Wismars historischem Kern einen ¸¸herausragenden
baukünstlerischen Wert''. Das komplett erhaltene
mittelalterliche Straßennetz bilde die Grundlage für
eine unverfälscht überlieferte Quartierstruktur, so
Stelzer. Als Besonderheit wertet er auch den mittelalterlichen
Wasserverlauf des Flüßchens Grube zwischen Mühlenteich
und Hafenbecken.
|