StZ Aus aller Welt 10.02.1998

 

Wer schafft den Aufstieg ins Weltkulturerbe?

Im Schatten von Stralsund hat die Hansestadt Wismar ihren mittelalterlichen Kern erfolgreich wiederbelebt / Von Harald Lachmann

Mecklenburg-Vorpommern erlebt derzeit ein unerklärtes, aber um so spannenderes Städte-Duell: Zwei alte Hansestädte bemühen sich um einen Platz auf der Liste des Weltkulturerbes der Unesco. Die Chancen sind etwas ungleich verteilt. Auf der einen Seite steht Stralsund, das mit seinen mehr als 800 Baudenkmälern schon zu DDR-Zeiten als Musterbeispiel für Denkmalpflege galt und auch nach 1990 übers Bundesprogramm ¸¸Städtebaulicher Denkmalschutz'' hoch subventioniert wird. Der kleinere Mitbewerber, Wismar, galt mit seiner vergleichsweise intakten Altstadt schon immer als Insidertip für Freunde mittelalterlicher Architektur. Doch den Vergleich mit Stralsund hätte man hier nie gewagt.

Entsprechend verteilte auch die Schweriner Landesregierung ihre Städtesanierungsmittel zugunsten von Stralsund. Doch der Musterknabe wurde zum Sorgenkind. In Stralsund werde heute eine ¸¸hochwertvolle, aber weitgehend verfallene Altstadt'' von drei Einkaufszentren umzingelt, rügt Mecklenburgs Chefdenkmalpfleger Dieter Zander. In den letzten Jahren verließen drei Viertel der Bewohner die historischen Quartiere.

Lob dagegen für Wismar. ¸¸Es ist dabei, Stralsund den Rang abzulaufen. Die Stadt ist schon jetzt weit attraktiver'', so Zander. In der Tat wurden hier die historischen Altstadtviertel beharrlich und ohne großes Aufsehen Zug um Zug saniert.

Dennoch bewarb sich zuerst Stralsund um die Aufnahme ins Weltkulturerbe der Unesco. Wismar wurde lange von wohlmeinenden Experten gedrängt; so vom Vorsitzenden der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Prof. Dr. Gottfried Kiesow, der die Altstadtkirche St. Georgen, ein Backsteinbau, heute gar als ¸¸Schlachtschiff deutscher Denkmalpflege'' rühmt. Eine 1996 gebildete Arbeitsgruppe recherchierte zunächst lange im stillen. Sie besuchte Lübeck, Quedlinburg und Goslar, die bereits von der Unesco anerkannt sind, informierte sich über die Kriterien des Welterbe-Sekretariats in Paris, checkte eigene Potenzen. Schließlich traute man sich doch. 1997 beschloß Wismars Bürgerschaft die Bewerbung.

Bei alledem bleibt Wismar ein eher untypischer Aspirant für die internationale Würdigung. Denn die Stadt ziele mit der Bewerbung nicht vordergründig auf zusätzliche Geldströme, die von der Unesco ohnehin nicht zu erwarten seien, weiß Wolfgang Puls, Chef jener Arbeitsgruppe. ¸¸Wir kamen mit den bisherigen Mitteln klar, und wir schaffen das auch künftig'', versichert er.

Offenbar sehen die Wismarer in dieser Bescheidenheit sogar ihre besondere Chance. Etwa im Vergleich zu Stralsund, wo trotz der immensen Förderung wenig Ergebnis zu sehen ist und die Altstadt noch 3,4 Milliarden Mark verschlingen soll - Gelder, die man sich nun von der Unesco erhofft. Doch nach ernüchternden Visiten in anderen ostdeutschen Städten, etwa Quedlinburg und Potsdam (Sanssouci), wurden die Unesco-Experten mittlerweile höchst vorsichtig. Zu oft hinterließen für sie jene Besuche den Eindruck eines Fasses ohne Boden, erfuhren die Wismarer von deutschen Unesco-Vertretern. Insider vermuten deshalb, daß es vorerst keine Neuaufnahmen von Städten ins Welterbe gibt, wenn dabei erneut gewaltige Ausgaben zu erwarten sind. Zur Unesco-Tagung im Dezember in Neapel war denn auch kein deutscher Aspirant ins Rennen gegangen.

All das gab für Wismar dann mit den Ausschlag, sich gleich parallel zu Stralsund zu bewerben. Denn falls die bekanntere Schwester durchfiele, wäre wohl auch für Wismar der Zug abgefahren, fürchtet Puls: ¸¸Wer weiß, ob dann sobald wieder ein Expertenteam den Weg an die ostdeutsche Küste findet.'' Als wichtigsten Bonus für ihre Bewerbung nennt er den einmaligen, seit dem 12./13. Jahrhundert nahezu unveränderten kreisförmigen Grundriß der Hansestadt.

Auch der Hallenser Architekt und Denkmalpfleger Dr. Helmut Stelzer, der schon Quedlinburgs Aufnahme auf die Unesco-Liste vorbereitete, attestiert Wismars historischem Kern einen ¸¸herausragenden baukünstlerischen Wert''. Das komplett erhaltene mittelalterliche Straßennetz bilde die Grundlage für eine unverfälscht überlieferte Quartierstruktur, so Stelzer. Als Besonderheit wertet er auch den mittelalterlichen Wasserverlauf des Flüßchens Grube zwischen Mühlenteich und Hafenbecken.