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Kleindenkmale
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Ein ganzes Dorf liegt im Acker begraben Nicht nur
Lebewesen, auch Gemeinwesen können sterben. Für gewöhnlich
denkt man nur an blühende und wachsende Siedlungen. Wie aus
einem Hof ein Weiler wird, aus dem Weiler ein Dorf und schließlich
vielleicht eine Stadt. Daß die Entwicklung aber auch umgekehrt
verlaufen kann, daß ganze Dörfer untergehen können,
ist gemeinhin weniger bekannt. Sicher, heute kommt es nur noch
selten vor, daß ein Dorf in den Fluten eines Stausees
versinkt, daß eine ¸¸Manntränke'', wie es an
der Nordsee anschaulich hieß, eine gewaltige Sturmflut, die
Deiche brechen läßt, und das Meer besiedeltes Land
dauerhaft zurückerobert. Dem Braunkohlentagebau oder der
Gewinnung von Bodenschätzen fallen nur noch vereinzelte Dörfer
zum Opfer, kaum mehr eins der Anlage von Truppenübungsplätzen.
Die Dezimierung der Bevölkerung durch Krieg, Seuchen und
Hungersnöte, die dann zur Auflassung ganzer Siedlungen führt,
ist in Europa nicht mehr zu befürchten.
All diese Ursachen für den Siedlungsschwund sind in früheren
Zeiten geläufig gewesen. Neben dem spontanen Siedlungsabbruch
gab es das Dahinkümmern, das allmähliche Schrumpfen, den
unaufhörlichen Niedergang: Immer mehr Menschen verlassen Haus
und Hof, die unbewohnten Gebäude zerfallen. Die Siedlung wird
schließlich ¸¸wüst'', wie der Fachmann sagt.
Solche ¸¸Wüstungen'' gibt es im Lande mehr als man
glauben mag. Ihre Zahl wird auf 500 bis 1000 geschätzt. Häufig
erinnern nur noch Flurnamen an die abgegangenen Orte. Manchmal
bewahren merkwürdige Besitz- und Markungsverhältnisse
das Gedächtnis. Bisweilen knüpfen sich Sagen an solche
geheimnisvollen, untergegangenen Orte. Oft aber ist weder der Name
noch die genaue Lage der Wüstung mehr bekannt. Die Wüstungsforschung,
die sich mit solchen Fragen beschäftigt, steht noch ziemlich
am Anfang.
So ist es auch mit Vöhingen, einem untergegangenen
Bauerndorf auf dem fruchtbaren Langen Feld zwischen
Schwieberdingen und Möglingen im Kreis Ludwigsburg. Der ¸¸Vöhinger
Weg'' nach Schwieberdingen, das ¸¸Vöhinger Pfädle''
nach Kornwestheim, der ¸¸Vöhinger Graben'', einst
ein Hohlweg nach Markgröningen, und schließlich das ¸¸Vöhinger
Kirchle'' findet man noch auf alten Karten. Von dem Kirchle, von
den stolzen Bauernhäusern, von den Wegen und zum teil sogar
gepflasterten Straßen heute keine Spur mehr. Das liegt alles
im Acker begraben. Erst die Archäologen haben auf den Feldern
Zeugen der untergegangenen Siedlung entdeckt und freigelegt. Ihre
Arbeit ist aus Geldmangel gestoppt. Wie es damals war, und warum
das blühende Dorf verlassen und aufgegeben wurde, bleibt
deshalb weiterhin ein Rätsel.
Der Ortsname Vöhingen deutet auf eine Besiedelung durch die
Alamannen im 5. Jahrhundert hin. Ein Faho oder Feho hat sich hBier
mit den Seinen niedergelassen und die fruchtbaren Lößböden
bebaut. Die erste urkundlichre Nennung im Jahr 779 (¸¸Fehingen'')
bezieht sich vermutlich auf Vaihingen/Enz. Bodenfunde belegen aber
sicher eine Siedlung zur Merowingerzeit, im 6./7. Jahrhundert.
Bereits im 8. Jahrhundert dürfte ein erste Kirche in Vöhingen
gestanden sein. Seinen Höhepunkt erlebte das Dorf im 12.
Jahrhundert. Seine Pfarrkirche, die es in seelsorgerlicher
Hinsicht unabhängig machte, unterstreicht, ebenso wie
Bodenfunde, seine Bedeutung.
Dann aber begann um 1300 der Verfall. Immer mehr Anwesen wurden
aufgegeben. Die letzten Bewohner verließen um die Mitte des
14. Jahrhunderts den Ort. Hat eine Klimaveränderung dies
bewirkt, ein Bevölkerungsrückgang den Absatz
landwirtschaftlicher Produkte schrumpfen lassen? Hat die Pest 1347
das Ende gebracht?
Oder waren es politische Gründe, die grundherrliche
Anordnung, in eine größere Siedlung umzuziehen, etwa
nach Markgröningen, um dieser Stadt bessere
Existenzbedingungen zu schaffen? Der Prozeß der Bevölkerungskonzentration
in den Städten ist damals vielerorts festzustellen. Heute
geht der Trend, auf freiwilliger Basis allerdings, in die
Gegenrichtung: aus den Städten hinaus aufs ¸¸flache
Land'' drum herum.
Die Vöhinger Kirche hat das Dorf lange überlebt. Noch
1488 hat sie der Graf von Nippenburg ausbessern lassen. Und bis
zur Reformation wurde allwöchentlich eine Messe in der
einsamen Kirche auf dem Feld gelesen. dka
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