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Abkehr vom Plattmachen
Das Zeppelin-Carré als Vorbote eines neuen Stuttgarter
Sanierungsgeistes
Erneuerung ist ein Wort, das in unserer kleinen Stadt bisher wie
¸¸Demolieren'' buchstabiert wurde. E wie Bohnenviertel,
r wie Schwabenzentrum, n wie Gerberviertel ... Wann immer es ein
Quartier zu revitalisieren galt, schlug die kommunale
Let's-putz-Seele zu, der das alte Glump schon längst ein Dorn
im Auge war. In Stuttgart ist Erneuerung gewohnheitsmäßig
mit flächenhaftem Abriß und Neubau einhergegangen, und
noch anno 1996 hätte es um ein Haar auch das denkmalgeschützte
Boschareal erwischt - rattatazong, ein ¸¸Büro- und
Erlebniscenter mit Großkino und Supermarkt'' drauf, fertig.
Bekanntlich wuchs das Rettende in diesem Fall ausnahmsweise auch -
ohne Garantie freilich, daß bei der konzertierten Aktion der
verschiedenen Interessengruppen schließlich mehr
herauskommen wird als ein fauler Kompromiß.
Vor diesem Traditionshintergrund zwanghafter Plattmacherei
gleicht es geradezu einer stillen Sensation, wenn dieser Tage nun
die Sanierung des Zeppelin-Carrés, wie das innerstädtische
Geviert zwischen Arnulf-Klett-Platz, Lautenschlager-, Kronen- und
Friedrichstraße neuerdings heißt, glücklich zu
Ende geht. Geopfert wurde dabei so gut wie nichts - wenn man von
dem zweiten e in Carré mal absieht, das dem Bauherrn im
Gegensatz zu dem irgendwie stilvollen Akzent-Strichelchen auf dem
ersten e anscheinend verzichtbar erschien.
Doch was ist schon ein kleines e gemessen an dem, was hier
erhalten blieb? Nichts überragend Wertvolles, keine
unersetzlichen Baudenkmäler oder Juwelen der örtlichen
Architekturhistorie, das ganz gewiß nicht. Aber doch ein
lokaltypisches Nachkriegsstück Stadt und damit ein Stück
Stadtgeschichte, was in Stuttgart, das sich seiner Vergangenheit,
selbst wo sie weniger bescheiden auftrat als in diesem Winkel des
Talkessels, stets leichten Herzens entledigt hat, schwerer wiegt
als in München oder Dinkelsbühl. Nicht immerfort mit dem
Angejahrten, Angestaubten, Angeschlagenen aufräumen zu
wollen, das Unscheinbare und Mittelmäßige neben dem
Glanzvollen und Bedeutenden zu ertragen, das Nebeneinander von
gestern und heute als den Normalfall zu tolerieren - gerade an
dieser urbanen Gelassenheit gegenüber der eigenen
Geschichtlichkeit, man könnte auch sagen: Identität, hat
es hier in den letzten Jahren gefehlt. Das ZeppelinCarré läßt
nun auf einen Wertewandel hoffen. Daß allerdings mehr als
Planergeschick dazu gehört, ein heruntergekommenes Ensemble
aus dem Abseits zu holen, ist eine Lektion, die das verjüngte
Karree ebenfalls erteilt.
Viel günstiger als bei anderen Stuttgarter
Sanierungsgebieten standen die Überlebenschancen dieses
Quartiers dabei nicht von vornherein. In der Substanz vielleicht
solider als die verschwundenen Gebäudeveteranen im alten
Gerber- oder Bohnenviertel, präsentierte es sich an zentraler
Stelle als verbarrikadierter Häuserblock aus der Zeit des
Wiederaufbaus, der mit den Jahren durch -zig An- und Aufbauten zu
einem Hinterhof-Pfropf in den Blutbahnen der Stadt verklumpt war.
Ins Innere des asphaltversiegelten Dickichts konnte die Öffentlichkeit
lediglich dort vordringen, wo es in die Tiefgarage des
Zeppelin-Hotels hinabging. Keine Frage, dergleichen wäre früher
bei erster Gelegenheit unter die Spitzhacke gekommen, um Platz für
Repräsentativeres zu schaffen. Schließlich gibt
Stuttgart mit diesem Karree gegenüber dem Hauptbahnhof eine
Art Visitenkarte ab.
So kann man von Glück sagen, daß der Block nach dem
Auszug des vorigen Eigentümers SüdwestLB in den Besitz
der Deutschen Gesellschaft für Immobilienfonds überging,
deren Statuten die Abrißsanierung ausschließen. Und
noch mehr Glück war es, daß das Frankfurter Unternehmen
sich zu einer ebenso durchgreifenden wie qualitätvollen
Erneuerung entschloß, statt es - was ja denkbar gewesen wäre
- bei ein paar Schönheitskorrekturen bewenden zu lassen. Die
Architekten jedenfalls preisen ihren Bauherrn in höchsten Tönen.
Offenbar in der Absicht, hier ein Paradebeispiel seines Wirkens zu
errichten, habe er ihre Ideen bereitwillig aufgenommen und beherzt
verwirklicht.
Man sieht es dem Komplex an, daß die Lobeshymnen zu Recht
erschallen. Aus dem städtebaulichen Thrombus am Bahnhof hat
die Planungsgruppe Zeppelin-Carré, bestehend aus den
Stuttgarter Architekten Auer und Weber und Partner mit Götz
Guggenberger sowie Michel und Wolf und Partner, eine Gegend
gemacht, wo die urbanen Lebenssäfte wieder zirkulieren können.
Denn wichtiger noch als die neue Ansehnlichkeit, wichtiger als
jedes architektonisch geratene oder auch mißratene Detail
ist dabei die Rückgewinnung des Quartiers als öffentlicher
Raum: Man kann nun einfach hindurchlaufen, auf kürzerem und
beschaulicherem Weg vom Bahnhof zur Universität, oder - künftig
- vom Zentrum ins Stuttgart des einundzwanzigsten Jahrhunderts
jenseits des Bahnhofs, statt wie früher an Festungsmauern
abzuprallen. Man kann hier direkt in die S-Bahn einsteigen. Und
man kann hier arbeiten, einkaufen, Espresso trinken, Frühlingsrolle
essen, sogar hier wohnen.
Gelungen ist diese Öffnung durch eine weitgehende
Entkernung der Erdgeschoßzone im Blockinneren. Dabei ist ein
von Straße zu Straße reichendes Raumkontinuum
entstanden, das seinen Zusammenhang einerseits durch einen
gleichartigen Betonbelag betont, auf dem eingelassene
Lichtquadrate in der Dunkelheit ein attraktives Leuchtmuster
bilden. Andererseits gliedert sich das gründlich entrümpelte
Quartier inwendig nun in vier unterschiedlich gestaltete Höfe:
Mit seiner Amberbaum-Bepflanzung und langen Terrassenstufen hat
der größte L-förmige Hof zwischen Bahnhofsvorplatz
und Kronenstraße den Charakter einer internen Straße.
In der glasüberdachten Atriumhalle an der Lautenschlagerstraße
läßt sich's auch im Winter gut ¸¸draußen''
aushalten, während sich der offene Hof daneben mehr für
die sommerliche Mittagspause im Freien eignet. Der kleine Hof in
der Mitte des Komplexes schließlich lockt mit Platanen und
sanft rauschenden Wasserkaskaden, hinter denen sich die Einfahrt
zur Tiefgarage verbirgt. ¸¸Aufenthaltsqualität'',
wie das im Planerjargon genannt wird, besitzen alle vier Hofräume,
zumal die Architekten der Versuchung widerstanden haben, sie
totzumöblieren. Grüne Bambuswedel, Bäume und das
Wasser sind die einzige Einrichtung in diesen ansonsten angenehm ¸¸leeren''
guten Stuben.
Energisch und behutsam zugleich, wie bei der städtebaulichen
Neuordnung des Quartiers, verfuhr die Planungsgruppe auch bei der
Erneuerung der einzelnen Gebäude. Viele haben ihr Gesicht
stark verändert, etwa die Häuser an der Friedrichstraße,
die eine durchgehende blaue Putzfassade zur großzügigen,
dem Maßstab der Nachbarschaft angepaßten Zeile
zusammenfaßt. Lediglich das Hotel Rieker, dessen Besitzer
sich als einzige der Sanierung verweigerten, erinnert noch an die
Bescheidenheit der einstigen Bebauung. Den anderen, innerlich
radikal modernisierten Gebäuden verleihen filigran
unterteilte Fenster, Markisen, ein etwas behäbiges neues
Flugdach (an der Ecke Friedrich-/Kronenstraße) und die schräge
Wintergartenverglasung in luftiger Höhe auf der Erweiterung
des Zeppelinbaus nach außen ein frisches, heutiges Gepräge,
ohne daß der Komplex dabei seine leichte Patina eingebüßt
hätte. Dennoch kommen die Vorzüge solcher Bauten wie der
Nummer 24 in der Kronenstraße, einem bemerkenswerten Bürohaus
aus den dreißiger Jahren, oder des Bonatzschen Hotels ¸¸Graf
Zeppelin'' von 1929 in dem renovierten Ensemble jetzt viel
deutlicher zur Geltung. Wie großstädtisch-elegant zum
Beispiel der Bonatz-Bau mit seinem langen Fassadenschwung an der
Lautenschlagerstraße in Wirklichkeit ist, hatte man bisher
immer übersehen. Allein die Treppenhäuser in den
Altbauten, die sich den Charme ihrer Entstehungszeit bewahrt
haben, lohnen eine Besichtigung.
Und so stünde alles zum besten mit dem Zeppelin-Carré,
wenn die erwartete Belebung des Quartiers sich nun tatsächlich
auch einstellen würde. Da allerdings scheint die Rechnung des
Bauherrn und der Architekten nicht so glatt aufzugehen wie
gedacht. Nachdem nämlich die Wohnungen und - mit gewisser
Verzögerung - auch die Büros inzwischen ihre Abnehmer
gefunden haben, entpuppt sich die Vermietung der Ladenflächen
als ungeahnt schwierig. Schon ist konzeptwidrig die erste
Bankfiliale im Erdgeschoß eingezogen, schon hat ein
interessiertes Einrichtungshaus deswegen einen Rückzieher
gemacht, weil die Geschäfte erfahrungsgemäß nur in
der Nähe anderer Geschäfte gut laufen.
Woran liegt es also? Daran möglicherweise, daß der
Einzelhandel gerade keine rosigen Zeiten durchlebt? Oder daran, daß
die geneigte Konsumentenschaft ihre geliebten Trampelpfade - hier:
die Königstraße - nur widerstrebend verläßt?
Gar am Mischungsverhältnis der Nutzungen im Karree? Ein paar
Büros weniger und ein paar Wohnungen mehr als der
Minimalanteil von drei Prozent hätten jedenfalls nicht
geschadet. Aber vielleicht wird ja das Restaurant, das demnächst
in der Glasrotunde eröffnet, den ersehnten Zulauf bescheren.
Schade nur, daß die Chemie zwischen dem Pächter und dem
katalanischen Architekten Alfredo Arribas anscheinend nicht
stimmte. In Barcelona hat Arribas einige der verrücktesten
Bars und Nachtclubs der westlichen Welt geschaffen. In Stuttgart
widmet sich nun eine hiesige Fachkraft der Ausführungsplanung.
Deren Befähigung in Ehren, aber ein Schuß unverdünntes
Barcelona hätte bestimmt Leben in die Bude gebracht - im
Zeppelin-Carré und überhaupt. Amber Sayah
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