StZ Feuilleton 11.03.1998

 

Abkehr vom Plattmachen

Das Zeppelin-Carré als Vorbote eines neuen Stuttgarter Sanierungsgeistes

Erneuerung ist ein Wort, das in unserer kleinen Stadt bisher wie ¸¸Demolieren'' buchstabiert wurde. E wie Bohnenviertel, r wie Schwabenzentrum, n wie Gerberviertel ... Wann immer es ein Quartier zu revitalisieren galt, schlug die kommunale Let's-putz-Seele zu, der das alte Glump schon längst ein Dorn im Auge war. In Stuttgart ist Erneuerung gewohnheitsmäßig mit flächenhaftem Abriß und Neubau einhergegangen, und noch anno 1996 hätte es um ein Haar auch das denkmalgeschützte Boschareal erwischt - rattatazong, ein ¸¸Büro- und Erlebniscenter mit Großkino und Supermarkt'' drauf, fertig. Bekanntlich wuchs das Rettende in diesem Fall ausnahmsweise auch - ohne Garantie freilich, daß bei der konzertierten Aktion der verschiedenen Interessengruppen schließlich mehr herauskommen wird als ein fauler Kompromiß.

Vor diesem Traditionshintergrund zwanghafter Plattmacherei gleicht es geradezu einer stillen Sensation, wenn dieser Tage nun die Sanierung des Zeppelin-Carrés, wie das innerstädtische Geviert zwischen Arnulf-Klett-Platz, Lautenschlager-, Kronen- und Friedrichstraße neuerdings heißt, glücklich zu Ende geht. Geopfert wurde dabei so gut wie nichts - wenn man von dem zweiten e in Carré mal absieht, das dem Bauherrn im Gegensatz zu dem irgendwie stilvollen Akzent-Strichelchen auf dem ersten e anscheinend verzichtbar erschien.

Doch was ist schon ein kleines e gemessen an dem, was hier erhalten blieb? Nichts überragend Wertvolles, keine unersetzlichen Baudenkmäler oder Juwelen der örtlichen Architekturhistorie, das ganz gewiß nicht. Aber doch ein lokaltypisches Nachkriegsstück Stadt und damit ein Stück Stadtgeschichte, was in Stuttgart, das sich seiner Vergangenheit, selbst wo sie weniger bescheiden auftrat als in diesem Winkel des Talkessels, stets leichten Herzens entledigt hat, schwerer wiegt als in München oder Dinkelsbühl. Nicht immerfort mit dem Angejahrten, Angestaubten, Angeschlagenen aufräumen zu wollen, das Unscheinbare und Mittelmäßige neben dem Glanzvollen und Bedeutenden zu ertragen, das Nebeneinander von gestern und heute als den Normalfall zu tolerieren - gerade an dieser urbanen Gelassenheit gegenüber der eigenen Geschichtlichkeit, man könnte auch sagen: Identität, hat es hier in den letzten Jahren gefehlt. Das ZeppelinCarré läßt nun auf einen Wertewandel hoffen. Daß allerdings mehr als Planergeschick dazu gehört, ein heruntergekommenes Ensemble aus dem Abseits zu holen, ist eine Lektion, die das verjüngte Karree ebenfalls erteilt.

Viel günstiger als bei anderen Stuttgarter Sanierungsgebieten standen die Überlebenschancen dieses Quartiers dabei nicht von vornherein. In der Substanz vielleicht solider als die verschwundenen Gebäudeveteranen im alten Gerber- oder Bohnenviertel, präsentierte es sich an zentraler Stelle als verbarrikadierter Häuserblock aus der Zeit des Wiederaufbaus, der mit den Jahren durch -zig An- und Aufbauten zu einem Hinterhof-Pfropf in den Blutbahnen der Stadt verklumpt war. Ins Innere des asphaltversiegelten Dickichts konnte die Öffentlichkeit lediglich dort vordringen, wo es in die Tiefgarage des Zeppelin-Hotels hinabging. Keine Frage, dergleichen wäre früher bei erster Gelegenheit unter die Spitzhacke gekommen, um Platz für Repräsentativeres zu schaffen. Schließlich gibt Stuttgart mit diesem Karree gegenüber dem Hauptbahnhof eine Art Visitenkarte ab.

So kann man von Glück sagen, daß der Block nach dem Auszug des vorigen Eigentümers SüdwestLB in den Besitz der Deutschen Gesellschaft für Immobilienfonds überging, deren Statuten die Abrißsanierung ausschließen. Und noch mehr Glück war es, daß das Frankfurter Unternehmen sich zu einer ebenso durchgreifenden wie qualitätvollen Erneuerung entschloß, statt es - was ja denkbar gewesen wäre - bei ein paar Schönheitskorrekturen bewenden zu lassen. Die Architekten jedenfalls preisen ihren Bauherrn in höchsten Tönen. Offenbar in der Absicht, hier ein Paradebeispiel seines Wirkens zu errichten, habe er ihre Ideen bereitwillig aufgenommen und beherzt verwirklicht.

Man sieht es dem Komplex an, daß die Lobeshymnen zu Recht erschallen. Aus dem städtebaulichen Thrombus am Bahnhof hat die Planungsgruppe Zeppelin-Carré, bestehend aus den Stuttgarter Architekten Auer und Weber und Partner mit Götz Guggenberger sowie Michel und Wolf und Partner, eine Gegend gemacht, wo die urbanen Lebenssäfte wieder zirkulieren können. Denn wichtiger noch als die neue Ansehnlichkeit, wichtiger als jedes architektonisch geratene oder auch mißratene Detail ist dabei die Rückgewinnung des Quartiers als öffentlicher Raum: Man kann nun einfach hindurchlaufen, auf kürzerem und beschaulicherem Weg vom Bahnhof zur Universität, oder - künftig - vom Zentrum ins Stuttgart des einundzwanzigsten Jahrhunderts jenseits des Bahnhofs, statt wie früher an Festungsmauern abzuprallen. Man kann hier direkt in die S-Bahn einsteigen. Und man kann hier arbeiten, einkaufen, Espresso trinken, Frühlingsrolle essen, sogar hier wohnen.

Gelungen ist diese Öffnung durch eine weitgehende Entkernung der Erdgeschoßzone im Blockinneren. Dabei ist ein von Straße zu Straße reichendes Raumkontinuum entstanden, das seinen Zusammenhang einerseits durch einen gleichartigen Betonbelag betont, auf dem eingelassene Lichtquadrate in der Dunkelheit ein attraktives Leuchtmuster bilden. Andererseits gliedert sich das gründlich entrümpelte Quartier inwendig nun in vier unterschiedlich gestaltete Höfe: Mit seiner Amberbaum-Bepflanzung und langen Terrassenstufen hat der größte L-förmige Hof zwischen Bahnhofsvorplatz und Kronenstraße den Charakter einer internen Straße. In der glasüberdachten Atriumhalle an der Lautenschlagerstraße läßt sich's auch im Winter gut ¸¸draußen'' aushalten, während sich der offene Hof daneben mehr für die sommerliche Mittagspause im Freien eignet. Der kleine Hof in der Mitte des Komplexes schließlich lockt mit Platanen und sanft rauschenden Wasserkaskaden, hinter denen sich die Einfahrt zur Tiefgarage verbirgt. ¸¸Aufenthaltsqualität'', wie das im Planerjargon genannt wird, besitzen alle vier Hofräume, zumal die Architekten der Versuchung widerstanden haben, sie totzumöblieren. Grüne Bambuswedel, Bäume und das Wasser sind die einzige Einrichtung in diesen ansonsten angenehm ¸¸leeren'' guten Stuben.

Energisch und behutsam zugleich, wie bei der städtebaulichen Neuordnung des Quartiers, verfuhr die Planungsgruppe auch bei der Erneuerung der einzelnen Gebäude. Viele haben ihr Gesicht stark verändert, etwa die Häuser an der Friedrichstraße, die eine durchgehende blaue Putzfassade zur großzügigen, dem Maßstab der Nachbarschaft angepaßten Zeile zusammenfaßt. Lediglich das Hotel Rieker, dessen Besitzer sich als einzige der Sanierung verweigerten, erinnert noch an die Bescheidenheit der einstigen Bebauung. Den anderen, innerlich radikal modernisierten Gebäuden verleihen filigran unterteilte Fenster, Markisen, ein etwas behäbiges neues Flugdach (an der Ecke Friedrich-/Kronenstraße) und die schräge Wintergartenverglasung in luftiger Höhe auf der Erweiterung des Zeppelinbaus nach außen ein frisches, heutiges Gepräge, ohne daß der Komplex dabei seine leichte Patina eingebüßt hätte. Dennoch kommen die Vorzüge solcher Bauten wie der Nummer 24 in der Kronenstraße, einem bemerkenswerten Bürohaus aus den dreißiger Jahren, oder des Bonatzschen Hotels ¸¸Graf Zeppelin'' von 1929 in dem renovierten Ensemble jetzt viel deutlicher zur Geltung. Wie großstädtisch-elegant zum Beispiel der Bonatz-Bau mit seinem langen Fassadenschwung an der Lautenschlagerstraße in Wirklichkeit ist, hatte man bisher immer übersehen. Allein die Treppenhäuser in den Altbauten, die sich den Charme ihrer Entstehungszeit bewahrt haben, lohnen eine Besichtigung.

Und so stünde alles zum besten mit dem Zeppelin-Carré, wenn die erwartete Belebung des Quartiers sich nun tatsächlich auch einstellen würde. Da allerdings scheint die Rechnung des Bauherrn und der Architekten nicht so glatt aufzugehen wie gedacht. Nachdem nämlich die Wohnungen und - mit gewisser Verzögerung - auch die Büros inzwischen ihre Abnehmer gefunden haben, entpuppt sich die Vermietung der Ladenflächen als ungeahnt schwierig. Schon ist konzeptwidrig die erste Bankfiliale im Erdgeschoß eingezogen, schon hat ein interessiertes Einrichtungshaus deswegen einen Rückzieher gemacht, weil die Geschäfte erfahrungsgemäß nur in der Nähe anderer Geschäfte gut laufen.

Woran liegt es also? Daran möglicherweise, daß der Einzelhandel gerade keine rosigen Zeiten durchlebt? Oder daran, daß die geneigte Konsumentenschaft ihre geliebten Trampelpfade - hier: die Königstraße - nur widerstrebend verläßt? Gar am Mischungsverhältnis der Nutzungen im Karree? Ein paar Büros weniger und ein paar Wohnungen mehr als der Minimalanteil von drei Prozent hätten jedenfalls nicht geschadet. Aber vielleicht wird ja das Restaurant, das demnächst in der Glasrotunde eröffnet, den ersehnten Zulauf bescheren. Schade nur, daß die Chemie zwischen dem Pächter und dem katalanischen Architekten Alfredo Arribas anscheinend nicht stimmte. In Barcelona hat Arribas einige der verrücktesten Bars und Nachtclubs der westlichen Welt geschaffen. In Stuttgart widmet sich nun eine hiesige Fachkraft der Ausführungsplanung. Deren Befähigung in Ehren, aber ein Schuß unverdünntes Barcelona hätte bestimmt Leben in die Bude gebracht - im Zeppelin-Carré und überhaupt. Amber Sayah