Stuttgarter Zeitung Aus Baden-Württemberg 5.6.1998

 

Bagger reißt Fundament der Tübinger Synagoge nieder

Baustopp einfach gebrochen - ¸¸Klare Rechtsverletzung und eklatanter Vertrauensbruch'' - Landesdenkmalamt hält Wiederaufbau für möglich

mip. TÜBINGEN. Große Teile des Fundaments der Tübinger Synagoge sind zerstört worden, obwohl die Stadt für diesen Teil des Geländes einen Baustopp verhängt hatte. Noch am Mittwoch abend waren sich Stadt, Landesdenkmalamt, Projektgruppe ¸¸Denkmal Synagogenplatz'', Israelitische Religionsgemeinschaft und Gemeinderäte einig, daß die vor kurzem gefundenen Reste des Fundaments der Tübinger Synagoge an Ort und Stelle erhalten werden sollen. Doch am Donnerstag morgen hob ein Bagger die Steine von mehr als einem Drittel des Fundaments aus dem Erdreich. Eine entsprechende Anweisung ist offenbar vom Bauträger Baumann ausgegangen.

Tübingens eilig herbeigerufener Baubürgermeister Siegfried Mezger sprach von einem ¸¸klaren Rechtsbruch und eklatanten Vertrauensbruch, den ich auch persönlich nehme''. Der Bauherr habe versucht, Fakten zu schaffen. Die Stadt oder das Landesdenkmalamt oder beide Behörden würden auf jeden Fall einen Strafantrag stellen. Nun wurde für das gesamte Grundstück ein Baustopp verhängt, alle Baugeräte mußten noch gestern abgezogen werden.

Professor Hubert Krins vom Landesdenkmalamt hält es für möglich, die 15 entfernten Steine an Ort und Stelle wiederaufzurichten. ¸¸Das kann auf wissenschaftlicher Basis geschehen. Das jetzt teilzerstörte Denkmal ist in den letzten Tagen vollständig dokumentiert worden.'' Krins wies allerdings auch auf die komplizierte baurechtliche Lage hin, weil der Bebauungsplan auf dem Synagogengelände das Errichten eines Mehrfamilienhauses gestattet.

Das jüdische Gotteshaus war von den Nazis 1938 angezündet worden. 1951 entstand auf dem Platz ein Zweifamilienhaus. Dieses wurde in diesem Frühjahr abgerissen, die Pläne für ein Zwölffamilienhaus hatten alle baurechtlichen Hürden genommen. Direkt neben dem Grundstück sollte noch in diesem Jahr ein Gedenkplatz entstehen. Doch völlig überraschend stieß die Projektgruppe ¸¸Denkmal Synagogenplatz'' nun kürzlich auf die Fundamentreste. Sie fordert seither eine Gedenkstelle am alten Ort der Synagoge.

Die Stadt schlug zunächst vor, nur einen Teil der Fundamentreste im Boden zu belassen und daneben weiterhin an den bisherigen Synagogenplatz-Plänen festzuhalten. Diesem Kompromiß schien zunächst auch das Landesdenkmalamt zuzustimmen. Der Bauträger hielt sich im Rahmen dieser von der Projektgruppe immer abgelehnten Variante, als er einen Teil der Steine mit dem Bagger abräumen ließ. Bürgermeister Mezger: ¸¸Völlig klar, eine Erlaubnis dazu hatte er nicht.'' Im Gegenteil, seit einer Diskussion am Runden Tisch mit 40 Gesprächsteilnehmern am Mittwoch abend war für alle Beteiligten außer dem Bauträger deutlich geworden, ¸¸daß über den bisherigen Kompromiß hinaus die gesamten Fundamentreste in einem würdigen Rahmen erhalten werden sollen'', wie es Mezger in einer Presseerklärung formulierte. Der ursprünglich vorgesehene Platz des Gedenkens soll mit den aufgefundenen Fundamentresten, einem Zaun aus der Zeit der Synagoge und der alten Gartenmauer zusammengeführt werden. Die Stadtverwaltung wollte untersuchen, unter welchen baurechtlichen Voraussetzungen diese Empfehlung umgesetzt werden könnte. Die Projektgruppe hält eine Verschiebung des Wohnblocks, einen kleineren Bau oder gar einen völligen Verzicht des Baus nach einem Kauf des Grundstücks, beispielsweise durch eine Stiftung, für denkbar.

In den letzten Tagen hatten sich zahlreiche Tübinger Bürger, aber auch in den USA lebende Mitglieder der früheren jüdischen Gemeinde Tübingens mit großem Nachdruck für den Erhalt der Fundamentreste eingesetzt. Landesrabbiner Joel Berger sprach von einem geschichtsträchtigen Ort, für den ein würdevoller Rahmen zu schaffen sei. Das könne nicht in einem Winkel neben einer Tiefgarage geschehen.