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Für
20 Millionen saniert
Mustersiedlung als Publikumsmagnet KUCHEN, Kreis Göppingen.
Bewegte Zeiten hat die historische Arbeitersiedlung in Kuchen hinter
sich. Gebaut wurde sie Mitte des 19. Jahrhunderts als
Prestigeobjekt, Anfang der siebziger Jahre sollte sie der Spitzhacke
zum Opfer fallen. Heute gelten die acht Häuser am westlichen
Ortsrand als einzigartiges baugeschichtliches Kleinod, für das
sich auch von weit her eine Reise nach Kuchen lohnt. ¸¸Wir
hoffen, daß die Siedlung ein kleiner Publikumsmagnet wird'',
erklärt Bürgermeister Bernd Rößner. Ein noch
druckfrischer Farbprospekt soll das Viertel und seine Geschichte über
die Region hinaus bekanntmachen. Seit einem halben Jahr bietet der
ehemalige ¸¸Esbianer'' Helmut Junginger Führungen an.
Er lernte das Schlosserhandwerk bei der Süddeutschen
Baumwollindustrie (ESBI), in deren Besitz die Siedlung bis 1983 war.
Außerdem weisen seit kurzem Schilder auf die Sehenswürdigkeit
hin.
Fast 20 Millionen Mark hat die Gemeinde in den vergangenen zehn
Jahren in die Sanierung der ¸¸interessantesten
Werksiedlung in Süddeutschland'' gesteckt, die sie 1983 nach
dem Konkurs der Süddeutschen Baumwollindustrie gekauft hatte.
Angetan von der Besonderheit unterstützte das Land das
Projekt mit knapp neun Millionen Mark. Das Geld stammte aus zwei Töpfen.
¸¸Das ist außergewöhnlich'', stellt
Kreisarchivar Walter Ziegler fest, der sich den Abrißplänen
Anfang der siebziger Jahre energisch entgegengestemmt hatte. Als
profunder Kenner der Geschichte verfaßte er auch den
Prospekt.
Die historische Bedeutung der Siedlung, die der Schweizer
Industrielle Arnold Staub zwischen 1858 und 1869 von namhaften
Architekten erbauen ließ, sprang auch Ulrich Schramm von der
Kommunalentwicklung sofort ins Auge, als er die Gebäude Mitte
der achtziger Jahre untersuchte. Entsprechend dick war der Ordner
mit den Ergebnissen. ¸¸Wir machten für jedes Haus
eine Bestandsaufnahme und legten fest, wie es zu sichern ist.''
Bei der Sanierung legten die Fachleute Wert darauf, alles im
Originalzustand zu belassen. Ohne Zugeständnisse ging das natürlich
nicht. So eröffnete im Badhaus, das lediglich bis 1875 als
Bad diente, dann aber zu einem Speisesaal umgebaut wurde, ein
Kindergarten. Die Fabrikhallen wurden abgerissen. Von ihnen zeugt
nur noch ein Stück Mauer. Noch rund 1,5 Millionen Mark muß
die Gemeinde lockermachen, um die Sanierung abzuschließen.
Ein Teil der Weberallee und der 2,8 Hektar große Park hinter
der früheren Fabrikantenvilla müssen noch gerichtet
werden. Die Villa selbst hat ein Privatmann saniert.
Nicht nur aus der historischen Perspektive ist die
Arbeitersiedlung etwas Besonderes. Sie galt von Anfang an als
mustergültig. Auf der Pariser Weltausstellung 1867 wurde sie
mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Mit den Arbeiterwohnungen
wollte Arnold Staub nicht nur Arbeiter an den Betrieb binden. Es
ging ihm auch um die ¸¸geistige und sittliche Hebung des
Arbeiterstandes''. Ein Dorf im Dorf entstand. Mit Schule,
Kindergarten, Laden, Apotheke und Spital. Reizvoll ist die
Architektur. Kein Haus gleicht dem andern. So erinnert ein Teil
der Gebäude an eine Arbeitersiedlung im Elsaß oder ein
englisches ¸¸Cottage''. rik |