Stuttgarter Zeitung Aus Baden-Württemberg 18.6.1998

 

Alter Synagogenplatz soll Gedenkstätte werden

Tübinger Initiative will das Grundstück von Baufirma kaufen - 1,5 Millionen Mark müssen zusammenkommen

mip. TÜBINGEN. Die Tübinger Initiative ¸¸Denkmal Synagogenplatz'' fordert, daß das gesamte Grundstück, auf dem früher das jüdische Gotteshaus stand, zu einem Platz des Gedenkens und der Begegnung wird. Dazu soll das Grundstück in attraktiver Lage einem Bauträger abgekauft werden, der dort Neubauwohnungen erstellen will. Der Kaufpreis in Höhe von etwa 1,5 Millionen Mark soll auf verschiedenen Wegen zusammenkommen. So hat eine von Tübinger Professoren gegründete Stiftung bereits positive Signale von Industriestiftungen erhalten. Ein neuer Förderverein hat inzwischen Spendenzusagen über eine höhere Summe vorliegen. Das Landesdenkmalamt hat etwa 200 000 Mark in Aussicht gestellt.

Die Stadt Tübingen wird nun aufgefordert, mit Bürgschaften zu helfen oder ein Ersatzgrundstück für den Investoren zu finden. Verschiedene Kirchen haben ihre Unterstützung zugesagt. Schließlich sind auch Tübinger Privatleute daran interessiert, einzelne Quadratmeter des Grundstücks zu kaufen und über einen Pachtvertrag für den künftigen Gedenkplatz zur Verfügung zu stellen.

Bisher sehen die Planungen auf dem Gelände den Neubau eines Wohnblocks vor. Doch vor kurzem haben , wie berichtet, Mitglieder der Projektgruppe auf diesem Grundstück Fundamentreste der 1938 zerstörten Synagoge entdeckt. Der Bauträger Jürgen Baumann hat bisher nicht grundsätzlich ausgeschlossen, den Bau um einige Meter zu verschieben oder nach einem Verkauf des Grundstücks auch ganz aufzugeben.

Allerdings drängt er auf eine schnelle Entscheidung bis Ende Juni. Seine Argumente: Die Pläne seien rechtskräftig, Kaufverträge über viele der insgesamt zwölf Wohnungen bereits abgeschlossen. Zudem habe er schon einige Abstriche an den Plänen gemacht, um die Fundamentreste zu erhalten. Baumann hatte allerdings heftige Kritik ausgelöst, weil er ohne Baufreigabe einen Teil der Fundamentreste abräumen ließ.

Gegen eine schnelle Entscheidung wendet sich aber die Projektgruppe. Sie fordert von der Stadt ein Moratorium, um ¸¸der großen Lösung'', nämlich dem Erwerb des Grundstücks, eine Chance zu geben. ¸¸Mit vier bis acht Wochen wäre schon viel geholfen'' erklärte Martin Ulmer, der Sprecher der Projektgruppe. Er sieht die Tübinger Bürger als Nachkommen der Täter und Mitläufer der Nazi-Zeit. Sie seien in der Pflicht, an die Geschichte der Tübinger Juden und ihre Verfolgung bis hin zur Pogromnacht und Ermordung zu erinnern und ein würdiges Gedenken zu schaffen.