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Die Franken als Herren
Archäologen untersuchen merowingerzeitlichen Friedhof
HERRENBERG. Fränkischen Einfluß im besiegten Alamannien spiegeln die
Funde, die in einem merowingerzeitlichen Friedhof bei Herrenberg im Landkreis
Böblingen derzeit von Archäologen geborgen werden.
Von Dieter Kapff
Im alamannischen Gräberfeld im Zwerchweg beim städtischen Bauhof,
das 1995 von dem Luftbildarchäologen Otto Braasch auf dem Heimflug
zufällig entdeckt wurde, graben seit 1996 die Archäologen des
Landesdenkmalamts unter der Leitung von Claus Oeftiger. Das Gebiet im
Süden Herrenbergs, auf einer kleinen Anhöhe über der jungen
Ammer gelegen, soll überbaut werden. Deshalb müssen zuvor die
Bodenfunde geborgen werden, die Aufschluß über die frühe
Geschichte der Umgebung Herrenbergs geben können.
Der Friedhof umfaßt schätzungsweise 600 Gräber, von denen bis
heute 220 freigelegt worden sind. Die Bestattungen datieren in die Zeit um 600.
Aufgrund der Größe des Friedhofs ist anzunehmen, daß es im
Osten noch ältere Gräber gibt.
Rund hundert Jahre zuvor hatten die Franken die Alamannen besiegt und dem
Merowingerreich eingegliedert. Zur Kontrolle des Landes und der Alamannen haben
die Franken an vielen strategisch und wirtschaftlich wichtigen Punkten eigene
Leute angesiedelt.
Einzelne fränkische Adelsfamilien wurden nach Alamannien versetzt, wo sie
als verlängerter Arm des Merowingerkönigs einer Dorfgemeinschaft
vorstanden, für Sicherheit und Ruhe sorgten und die Eintreibung der
Naturalsteuern überwachten. Die zum Friedhof gehörige Siedlung war
aus zwei Gründen wichtig: Sie lag am Rande des Oberen Gäus, der
Kornkammer der Region, und auch an einer seit der Römerzeit benutzten
Straße, die von Calw durch das Ammertal zum Neckar bei Tübingen oder
Rottenburg führte.
Auf dem Friedhof im Zwerchweg liegen nicht die Toten von Herrenberg. Die Stadt
wurde erst im 13. Jahrhundert von den Pfalzgrafen von Tübingen
gegründet. Das alamannische Reihengräberfeld gehört vermutlich
zur Siedlung Mühlhausen, die nach dem Umzug ihrer Bewohner in die Stadt um
1325 aufgelassen wurde. Ein Flurname erinnert noch an das wüstgefallene
Dorf, dessen genaue Lage noch nicht gesichert ist.
Mühlhausen wird erstmals um 775 in einer Schenkungsurkunde an das Kloster
Lorsch erwähnt. Namenskundler schließen aus der Endung
-hausen, daß es aber älter und ein Ausbauort des 7.
Jahrhunderts ist. Seinen Namen verdankt es einer Mühle an der Ammer, die
keinen Kilometer davon entfernt entspringt, aber bereits so viel Wasser
führt, daß sie eine Mühle antreiben kann. Es ist denkbar,
daß die Siedlung ursprünglich einen anderen, einen auf -ingen
endenden alamannischen Namen trug, der nach der Machtübernahme durch die
Franken geändert wurde.
Das alamannische Reihengräberfeld von Herrenberg spiegelt die politischen,
sozialen, religiösen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse des 7. Jahrhunderts wider. Zum Beispiel in der Art und
Größe der Gräber. Die einfachen Dorfbewohner hat man in die
Grabgrube gelegt, vielleicht in ein Tuch eingehüllt oder auf einem
Totenbrett bestattet. Andere erhielten einen Holzsarg. Der fränkische
Dorfherr wurde in einer 3,5 Meter tiefen Grabgrube beigesetzt, über der
ein Totenhaus gezimmert wurde, in dem sich die Hinterbliebenen bei Speis und
Trank zu seinem Gedächtnis versammelten.
Die enorme Tiefe der Grabgrube sollte wohl die wertvollen Grabbeigaben
schützen. Freilich hat dies nicht viel genützt. Denn die Gräber
von Herrenberg sind zu einem hohen Grade, zu 98 Prozent, ausgeraubt worden.
Dies geschah oft nur wenige Jahre nach der Grablegung und, wie die
Archäologen vermuten, auch durch die eigenen Angehörigen. Die
Grabräuber sind dabei ganz gezielt zu Werke gegangen. Gräber, aus
denen nichts zu holen war, ließen sie links liegen. Bei den
gutausgestatteten Toten haben sie im Brustbereich - wenn es eine Frau war, denn
dort lag der Schmuck - oder im Hüft- und Beinbereich - wo bei den
Männern die Waffen zu finden waren - Raublöcher gegraben.
Trotz der starken Beraubung bargen die Archäologen noch aus zwei Dritteln
der Gräber Funde, die Hinweise auf Geschlecht, sozialen Status, Religion
und Datierung ergaben. Glas- und Bernsteinperlen weisen die Besitzerin als
wohlhabend aus, denn - anders als heute - war Glas damals etwas Wertvolles. 50
Perlen zierten den Hals einer Frau, und ein Mädchen hatte eine Kette mit
29 Glasperlen. Handelsbeziehungen nach Osteuropa belegt ein schwarzer
Tonbecher, Gürtelschnallen stammen aus Italien, Keramikflaschen und ein
Glasgefäß aus der Heimat der fränkischen Dorfherren, dem
Rheinland. Auch die Franziska, die fränkische Wurfaxt, die in einem
Kriegergrab gefunden wurde, weist ins Merowingerreich.
Die Bestatteten waren in der großen Mehrheit heidnische Alamannen. Das
Christentum kam in dieser Region erst durch die Franken zu den Alamannen.
Amulette als Heilsbringer, die Tigermuschel als Fruchtbarkeitssymbol, das die
Frau am Gürtel trug, und die Speisebeigaben für den Weg ins Jenseits
verdeutlichen den altüberkommenen Glauben an die heidnische
Götterwelt. Übrigens, neben Schweine- und Rinderbraten hat man
Gourmets auch Hühnerbrust, Rebhuhn und Wachtel ins Grab mitgegeben.
Einige wenige Tote, wohl die aus der fränkischen Herrendynastie, gaben
sich als Christen zu erkennen. Christliche Motive, vor allem das Kreuz, fanden
sich auf ihren Grabbeigaben, auf bronzenen Schmuckscheiben, einer
feuervergoldeten und mit leuchtenden Almandinen verzierten silbernen
Scheibenfibel, auf silbernen Anhängern. Diese Wertobjekte hatten die
Grabräuber aus frommer Scheu nicht wegzunehmen gewagt, wenn sie auch sonst
nichts im Grab zurückließen.
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