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"Setzt mir nur einen
blanken Stein''
Der alte Tübinger Stadtfriedhof, Ruhestätte vieler historischer
Personen, könnte ein Park werden Der alte Tübinger
Stadtfriedhof gehört zu den herausragenden Kulturdenkmalen der Unistadt.
Dennoch wird darüber diskutiert, ob man ihn in eine parkähnliche
Grünanlage umwandeln soll.
Von Michael Petersen
Wer durch das ärmliche schmiedeeiserne Tor in den alten Tübinger
Stadtfriedhof tritt, darf vor sich keine bedeutenden Kunstwerke erwarten.
"Für die Professoren im pietistischen Tübingen hätte Kunst
kein Prestige gehabt. Die meisten haben vielmehr Wert darauf gelegt, daß
ihre Titel auf den Grabsteinen hervorstechen'', sagt Helmut Hornbogen, der sich
seit Jahren intensiv mit der Geschichte dieses Friedhofs beschäftigt.
Für ihn liegt der Reiz der Anlage in ihrer Gesamtheit. Wegen der
Bäume, wegen der Hecken, die Gräberfelder in Abschnitte teilen. Je
nach Sonnenstand sorgt auch der Lichteinfall für einen sehr beschaulichen
Eindruck.
Richtig bedeutend wird der alte Friedhof freilich wegen der Leute mit ihren
großen Namen, die dort begraben sind. Von ihnen haben auf diesem Friedhof
mehr als anderswo im Land eine letzte Ruhestatt gefunden. Wenn Hornbogen,
Kulturredakteur des "Schwäbischen Tagblatts'', zu einer seiner
Führungen durch den Friedhof einlädt, wird er von 400 Tübingern
begleitet, denen Namen wie Friedrich Hölderlin, Ludwig Uhland, Isolde und
Hermann Kurz, Friedrich Silcher oder Ottilie Wildermuth, aber auch Carlo Schmid
oder Kurt Georg Kiesinger etwas bedeuten. Mit einer Flüstertüte
muß sich Hornbogen verständlich machen, wenn er zwischen den
Gräbern zu erzählen beginnt.
Scheinbare Nebensächlichkeiten machen seine Vorträge spannend. Neben
Uhland liegt seine Frau Emilie begraben. Ihrem Wunsch gemäß soll die
Anlage lediglich von Efeu und Immergrün bewachsen sein. "Manche
Besucher stört, daß kein Blumenschmuck zu sehen ist'', sagt
Hornbogen und lächelt. Aber nach seiner Erklärung sind die Begleiter
zufrieden. Von ihm können sie auch erfahren, warum Uhlands Grabstein so
schlicht ausgefallen und nach Osten ausgerichtet ist. Schon im März 1812
hatte der Dichter notiert: "Setzt mir nur einen blanken Stein, / Nicht
Bilder drauf, noch Worte drein,/ Doch sollt ihr ihn nach Osten kehren,/ So wird
ihn Morgenrot verklären.''
Oder: Friedrich Hölderlins Halbbruder Karl Gok hat auf den hellgrauen,
1,90 Meter hohen Sandstein Namen und Todestag des Dichters einmeißeln
lassen. Auch das Geburtsdatum ist angegebenen, doch es ist nicht ganz korrekt.
"29. statt 20. März'', korrigiert Hornbogen in seinem Buch "Der
Tübinger Stadtfriedhof - Wege durch den Garten der Erinnerung'' (Verlag
Schwäbisches Tagblatt). Am Kreuz auf dem Grabstein ist ein Haken zu
erkennen. Dort sollte ein kupferner Lorbeerkranz seinen Platz finden. Gleich
mehrere davon waren im Laufe der Jahrzehnte angefertigt worden - und immer
wieder als Souvenirs abhanden gekommen. Der letzte wird seit gut 20 Jahren im
Tübinger Kulturamt verwahrt, sicherheitshalber. 1943 ließen die
Nazis die Grabstatt Friedrich Hölderlins vergrößern. Damit
Platz für die des hundertsten Todestags Hölderlins Gedenkenden
geschaffen wird, mußten viele umliegende Gräber weichen. "Am 7.
Juni 1943 wurde des Dichters Grab haufenweise von braunem Lorbeer bedeckt.
Über dem Stein hing der Kranz des Adolf Hitler'', sagt Hornbogen zu einem
entsprechenden Foto.
Wenn Hornbogen vor dem Grab des Geologen Professor Friedrich August Quenstedt
steht, kann er nur auf eine kleine Rasenfläche zeigen. Weil niemand
für die Grabpflege aufkam, wurde dessen Grabstein 1978 ebenso
abgeräumt wie jener der Frauenrechtlerin und Sozialarbeiterin Mathilde
Weber. ¸¸In den siebziger Jahren ist besonders brutal vorgegangen
worden'', berichtet Hornbogen von den Veränderungen des Friedhofs, seit
ein Hufschmied namens Engelfried am 30. November 1829 als erster dort zur
letzten Ruhe gebettet wurde.
Das kaum mehr als drei Hektar große Areal in Tübingens Stadtgebiet
wurde immerhin 1987 unter Denkmalschutz gestellt. 1834 erklärte das
Landesdenkmalamt 3900 Gräber für erhaltenswert. Ob sie erhalten
bleiben, ist dennoch offen. "Durch die Ausweisung als Kulturdenkmal wurden
auf dem Stadtfriedhof nur auf Wunsch der Angehörigen Gräber
abgeräumt'', ist einer Vorlage des Tübinger Gemeinderats zu
entnehmen. "Dadurch entstand eine sehr kleingliedrige Struktur, welche
einen sehr hohen Pflegeaufwand erfordert'', heißt es weiter. 175.000 Mark
im Jahr für die Pflege des Friedhofs sind der Stadtverwaltung
offensichtlich zuviel. Ihr Vorschlag: Erhaltenswerte Grabdenkmale sollten
zentral an verschiedenen Punkten zusammengefaßt werden. Nur ganz
außergewöhnliche Grabstätten wie jene von Hölderlin und
Uhland sollten an ihrem Platz belassen werden. Dennoch kommt sie zu dem Fazit:
"Durch die Maßnahmen wird der Stadtfriedhof allmählich in eine
pflegeleichte, parkähnliche Grünanlage umgewandelt.''
Ein Gemeinderatsbeschluß vor 30 Jahren macht dies möglich. Er hatte
die Schließung des Stadtfriedhofs vorgesehen. Grund waren Pläne
für eine Nordtangente, die die Friedhofsflächen streifen sollte. Der
Verkehr hätte die Pietät des Ortes nachhaltig gestört,
hieß es. Diese Straße freilich wurde nie gebaut, der
Ratsbeschluß wurde dennoch nicht zurückgenommen. "Rettet den
alten Tübinger Stadtfriedhof!'' appellierte der Schwäbische
Heimatbund bereits vor einigen Wochen.
Heimatbund wie Hornbogen schwebt eine ganz andere Zukunft des Friedhofs vor,
die Rettung durch frische Gräber. Derzeit kann dort nur bestattet werden,
wer Ehrenbürger der Stadt war oder über ein Familiengrab
verfügt. Entsprechende 80jährige Nutzungsrechte wurden bis 1950
vergeben. Die letzte Beerdigung wird spätestens 2010 erfolgen.
"Friedhöfe, auf denen keine Bestattungen mehr vonstatten gehen, die
ohne offene Erde, ohne frische Gräber sind, werden auch von niemandem mehr
als sakraler Ort erlebt'', meint Hornbogen. Er fürchtet Vandalismus und
Verwahrlosung durch eine Musealisierung oder Umgestaltung zum Freizeitpark.
Für ihn steht fest: "Letztlich kann dieses einzigartige Kulturdenkmal
allein dadurch gerettet werden, daß weiter auf ihm beerdigt wird.''
Pflegende Angehörige seien die besten Parkwächter, ist auch die
Erfahrung des Schwäbischen Heimatbundes. Inzwischen haben
Gemeinderatsfraktionen das Thema aufgegriffen, die neue
Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer wird sich bald um den alten
Tübinger Stadtfriedhof kümmern müssen.
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