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der Stuttgarter Zeitung vom 08.10.2003 zur Übersicht |
Herrschaft der alten
Männer Ein Workshop zur Bedeutung der keltischen Fürstensitze Von Dieter Kapff Seit hundert Jahren mindestens bemühen sich Wissenschaftler um die Erforschung der Kelten, die hier zu Lande ihren Ursprung haben. Viel weiß man inzwischen über dieses erste namhaft zu machende Volk in Mitteleuropa. Aber noch viel zu wenig. Im nächsten Jahr startet deshalb ein Großprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das unter der Federführung der Landesarchäologen von Baden-Württemberg steht und an dem sich Wissenschaftler mehrerer Länder beteiligen. Es ist auf sechs Jahre veranschlagt und wird mindestens neun Millionen Euro kosten. Im Vorfeld dieses Projektes hat in Eberdingen-Hochdorf im Kreis Ludwigsburg ein internationaler Workshop stattgefunden. Der Titel "Frühkeltische Fürstensitze. Älteste Städte und Herrschaftszentren nördlich der Alpen?" skizziert einige der Grundprobleme, die in der Forschung heftig diskutiert werden. Ziel der Veranstaltung war es, neue Forschungsansätze zu erarbeiten, weniger fertige Ergebnisse anzubieten, wie der Landesarchäologe Jörg Biel erklärte. Die frühen Kelten lebten in der frühen Eisenzeit vom siebten bis ins fünfte vorchristliche Jahrhundert in einem Gebietsstreifen, der sich nördlich der Alpen von Ostösterreich bis nach Ostfrankreich hinzieht. Es ist die Späthallstattzeit, die ihren Namen von dem berühmten österreichischen Fundort Hallstatt hat. Charakteristisch sind die Großgrabhügel mit reichen und kostbaren Grabbeigaben, in denen die führenden Persönlichkeiten bestattet wurden. Die Gräber waren schon im 19. Jahrhundert aufgefallen. Ihnen galt lange Zeit die Hauptaufmerksamkeit der Archäologen. Inzwischen ist aber das keltische Siedlungswesen in den Mittelpunkt der Forschungen gerückt. Auch eine Folge der Ausgrabungen im Umfeld der Heuneburg an der Donau und der Entdeckung des Fürstengrabes am Fuße des hessischen Glaubergs, das mit merkwürdigen Wällen und einer Prozessionsstraße verbunden ist. Aufgrund der aufwendigen Bestattungsweise unter riesigen Erdhügeln und wegen der sehr kostbaren Grabbeigaben hat man schon bald von Fürstengräbern gesprochen. "Fürst" ist ein mittelalterlicher Begriff, der natürlich in der Prähistorie mit etwas anderen Inhalten versehen werden muss. Darauf haben Wissenschaftler schon früh aufmerksam gemacht, doch hat sich diese "bewährte Definition" bis heute gehalten. Nun ist der Streit darüber neu aufgeflammt, ob man diese (Stammes-)Führer (das Wort ist seit dem Dritten Reich verpönt) nicht eher Häuptlinge, Könige, Anführer, Oberhäupter einer großen Familiensippe nennen soll oder, in Verbindung mit kultischen Funktionen, Priesterkönige. Manche sagen einfach Älteste dazu, andere weichen ins Englische aus, um sich nicht näher festzulegen: Chief. Ob Erbaristokratie mit sakraler Komponente oder Gerontokratie (die Herrschaft der alten Männer): den Titel, den sie trugen, die Funktionen, die sie exakt ausgeübt haben, kennt niemand genau. Und so tut sich die Wissenschaft auch mit den "Fürstensitzen" schwer. Saß hier der Fürst? Auf dem am besten erforschten Fürstensitz, der Heuneburg, hat man keinen Palast gefunden. Hat der Fürst nicht in der Höhensiedlung residiert, sondern im suburbium, der Burgsiedlung am Fuße? Oder wohnte er in einem separaten Herrenhof, wie man es für den Ipf vermutet? Bei jüngsten Prospektionen auf dem Mont Lassois, ist dagegen ein dreißig Meter langes Bauwerk erkannt worden. Waren die Fürstensitze Burgen oder Herrschaftsmittelpunkte, Städte, Wirtschaftszentren oder regionale Heiligtümer? Den Glauberg hält sein Ausgräber für ein großes Heiligtum und vermutet, dass auf der Prozessionsstraße und anderen abgegrenzten Flächen um den Fürstengrabhügel "Leichenspiele" und Wettkämpfe wie in Olympia stattfanden. Waren die Fürstensitze befestigt, wie die Heuneburg und wohl der Ipf und der Mont Lassois? Auf manchem Fürstensitz, dem Hohenasperg wie dem Glauberg etwa, findet man jedoch davon keine Spuren. Müssen sie überhaupt wehrhaft sein? Der Blick nach Lykien und auf den Balkan zeigt, dass nicht alle antiken Städte befestigt waren. Was macht eine Stadt zur Stadt? Ist es die schiere Größe, dichte Bebauung und Bevölkerungszahl? Das Ergebnis eines Konzentrationsprozesses, und wer hat ihn herbeigeführt? Die so genannte Außensiedlung bei der Heuneburg ist nach neuesten Erkenntnissen etwa fünfzig Hektar, das suburbium im böhmischen Závist sogar hundert Hektar groß gewesen. Sind es neben privaten Häusern die öffentlichen und kultischen Bauwerke, zumal aus Stein? Doch die frühen Kelten kannten überhaupt keine Steinbauten. Infrastruktur wie Handwerkerbereiche oder planmäßige Anlage sind auf der Heuneburg allerdings nachgewiesen. Neben diesen architektonischen Kriterien für eine (antike) Stadt gibt es noch die wirtschaftlichen, wie Abhängigkeit bei der Lebensmittelversorgung vom Umland, Arbeitsteilung und Marktfunktion. Keltische Fürstensitze weisen sie teilweise auf. War die Heuneburg dann doch die älteste Stadt in Südwestdeutschland? Das Urteil darüber fällt verschieden aus, vom eingeschränkten Ja bis zum glatten Nein. 08.10.2003 - aktualisiert: 09.10.2003, 05:03 Uhr |
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